Gleichzeitigkeit

Ungeachtet aller moralischen und politischen Fragen, finde ich das Phänomen, dass - wenn man den Berichten trauen kann - 1000 Leute in Köln zusammen gekommen sind, um gemeinsam - in kleinen Gruppen, wenn ich das richtig verstanden habe - Taschendiebstähle und sexuelle Übergriffe zu vollziehen, aus sozialwissenschaftlicher Sicht höchst interessant.


Dass kleine, bandenförmige Gruppen gemeinsam arbeiten, um friedliche Bürger ihres Eigentums zu entledigen, ist ja bekannt. Taschendiebe tun das überall auf der Welt. Sie sind es wahrscheinlich, die Teamarbeit erfunden haben. Und dass die Begegnung mit kleinen Gruppen alkoholisierter Männern für Frauen nicht erfreulich ist bzw. nachgerade lebensgefährlich sein kann, ist auch bekannt. Aber dass sich solche Gruppen oder Banden zu koordiniertem Handeln treffen und organisieren, ist offenbar ein bislang unbekanntes Phänomen.


Meine Vermutung ist, dass wir dies den neuen Kommunikationsmedien zu verdanken haben. Flashmobs sind inzwischen zwar nicht an der Tagesordnung, aber sie werden gezielt genutzt. Und die Ereignisse am Tahir-Platz in Kairo wären ohne die Koordination der Akteure durch Facebook etc. auch nicht möglich gewesen. Hier zeigt sich, wie innovative Techniken zu innovativen Sozialformen führen können. Und es zeigt sich auch, dass Innovation nicht mit Fortschritt gleich zu setzen ist.


Dass die Polizei in Köln überfordert war, dürfte daran liegen, dass sie organisatorisch und personell nicht auf die Gleichzeitigkeit von solchen Ereignissen eingerichtet ist. Behörden sind nicht nur an Reihenfolgen der Antragstellung gewöhnt (Nummer ziehen), sondern es ist auch nicht wahrscheinlich, dass - außer bei Naturkatastrophen - unendlich viele Anforderungen an deren Dienste gleichzeitig gestellt werden. 150 sexuelle Übergriffe, die nacheinander geschehen, können angezeigt und verfolgt werden. Wenn sie gleichzeitig geschehen, offenbar nicht.