Glaube, Liebe, Hoffnung

Karl Lagerfeld, so war in einer Zeitung beim Zahnarzt zu lesen, empfängt sehr gern auch Gäste in seiner Villa in Spanien (?). Nur über drei Dinge zu Reden sei untersagt: a) Kinder, b) Geld und c) Krankheiten. Gilt das auch für die Systemische Kehrwoche? Ich werde heute jedenfalls über alle drei Dinge reden, dann aber wohl nie mit Karl Lagerfeld. Ich starte also froh mit meinem Reformationstagsblog:


Mein Freund Sven geht heute noch Nummer 5 besuchen. Sven ist Mediziner, Herzchirurg, und Nummer 5 ist Schaf, Versuchsschaf. Am Versuchsschaf wird getestet, ob sich bestimmte Formen von Stammzellen für den Einsatz im oder am Herzen eignen. Es handelt sich um erste Versuche am Tiermodell, und der Ausgang ist mehr als ungewiss. Ob dieser Stammzelleneinsatz Erfolg haben wird, wird man mit den Versuchen sehen. Nummer 5 jedenfalls erlebt das so oder so nicht mehr.


Vorsichtshalber und in der Zwischenzeit lässt sich aber schon mal Geld mit Stammzellen verdienen. Aber keine Angst: nicht mit nüchterner Wissenschaft. Man kauft eine größere Stückzahl geeigneter Kühlaggregate, ein Notstromaggregat und lässt sich Briefbögen und Informationsmaterial gestalten. Das ist sicher der wichtigste Schritt zum guten Geschäft.


Dann kommt der Clou: Niemand weiß als Laie genau, was Stammzellen sind. Bläschenkeim? Becherkeim? Embryonalknoten? Keimblätter? Ektoderm? Entoderm? Mesoderm? Welche Zellen sind eigentlich pluripotent? In diesem Dunkel der Wissenschaft braucht der Kunde ein Licht! Also bietet man gerade stolz gewordenen Eltern an, das Blut der Nabelschnur des oder der Neugeborenen (nicht weiblich, sondern Plural: wegen der künstlichen Befruchtung) gegen viel Geld für die Zukunft einzufrieren. Es werde Licht: Wann immer eine Zelle kaputt geht, holt man dann die gefrorenen Ersatzzellen aus dem Eisschrank und – schwupp – sind alle wieder gesund. Da ist man auf der sicheren Seite. Nichts kann passieren. Alle Krankheiten sind heilbar. Und das alles nur für ein paar tausend Euro. Das wird uns doch die Sache wert sein, oder?


Bei Nummer 5 ist die Wissenschaft noch nüchtern. Es gibt Zellen aus der Nabelschnur von Nummer 5. Diese Zellen sind Teil des Mesoderms (also keine embryonalen Stammzellen). Daraus entwickeln sich (ein gutes Beispiel einer strukturellen Drift) unter anderem Herzmuskelzellen und Blutgefäße. Mit etwas Glück kann aufgrund dieser „Verwandtschaft“ der Zellen also eine Nabelschnurblutzelle (eine Blutzelle) zur Beteiligung am Herzmuskel (eine Muskelzelle) umerzogen werden.


Zum Glück gehört die Hoffnung.


Während also Nummer 5 in der Tat der Wissenschaft dienen wird, haben wir es bei unserem nicht fiktiven Geschäft mit etwas anderem zu tun: Glaube, Liebe und Hoffnung (womit wir beim heutigen Reformationstag wären). Nicht die wissenschaftliche Realisierbarkeit drängt uns zu dieser Form von Geldanlage, sondern die Anziehungskraft des Irrationalen. Nicht die Mehrzahl aller erdenklichen Krankheiten ist mit dem Nabelschnurblut heilbar, sondern die Mehrzahl unserer Wünsche und Ängste werden angesprochen von dieser geradezu „schöpferischen“ Methode.


Das alles kann man gelten lassen, wenn nicht das Irrationale mit rationalen Verkaufsargumenten vermarktet werden würde. Niemand verkauft besser als ein weißer Kittel. Sven und Nummer 5 haben von diesem Geschäft leider nichts, obwohl sie beide Weiß tragen.