Geteilte Rechnung

Bei meinen ethnologischen Studien bin ich auf einen wichtigen kulturellen Unterschied zwischen Deutschland und Italien gestoßen: In Italien gibt es das Phänomen nicht, dass sich Leute, die gemeinsam ein Restaurant besuchen, die Rechnung teilen oder getrennte Rechnungen fordern.


Das ist bei uns ja oft anders. Hier teilen sich manchmal sogar (verheiratete) Paare die Rechnung - wahrscheinlich um wechselseitig das Gefühl der Verpflichtung für irgendwelche Gegenleistungen nach dem Essen zu vermeiden.


In Italien käme kein Kellner auf die Idee zu fragen, ob man eine oder zwei Rechnungen haben möchte. Es gibt nur eine... Das hat zur Folge, dass am Tisch geklärt werden muss, wer bezahlt - denn nachträglich den Betrag zu teilen geht nicht.


Es entwickelt sich daher zwangsläufig ein hoch ritualisierter Konflikt darum, wer das Recht erhält zu zahlen. Man streitet sich dramtisch. Großes Theater. Schließlich zahlt einer - der "Gewinner".


Beim nächsten Mal geht das Ganze wieder von vorne los, nur dass diesmal der andere nach langem Hin und Her "gewinnt". Die ein gemeinsames Gedächtnis erfordernde Frage: "Wer ist diesmal dran?" stellt sich zwar jeder, aber sie wird nicht explizit thematisiert, sondern läuft im Verborgenen mit.


Die Symmetrie, die sich bei uns im Teilen der Rechnung hier und jetzt herstellt, wird also über die Zeit hergestellt. Aber - und das scheint mir ein großer Unterschied -, wenn sie erhalten werden soll, bedarf es der Aufrechterhaltung der Beziehung, der Fortsetzung der Kommunikation. Man muss (mindestens) noch ein weiteres Mal gemeinsam ins Restaurant gehen. Das gilt natürlich auch hier, wenn einer bezahlt. Aber es gibt immerhin die Option, den Schatten der Zukunft - die Verpflichtung dem anderen gegenüber - zu vermeiden, indem man ihm gar nicht erst ermöglicht, sich durch seine Großzügigkeit in die Sonne zu stellen und diesen Schatten werfen zu lassen...


Ob in Kneipen Rechnungen geteilt werden oder nicht, hat sicher Auswirkungen auf all die anderen sozialen Verhältnisse. Das ist es, was die Kulturen unterscheidet...