Georg Kreisler/Tim Fischer

Gestern habe ich in der Berliner Bar jeder Vernunft Tim Fischer gehört, der Songs von Georg Kreisler vortrug. Ich dachte, Kreisler wäre schon tot, denn im Fernsehen war er in den letzten 20 Jahren nicht mehr zu sehen (zumindest habe ich ihn da nicht gesehen). Und wahrscheinlich kennt ihn heute auch kaum noch jemand, ausser solch alten Säcken wie mir, für die seine Hymne "Geh'n wir Tauben vergiften im Park!" zu den unvergessenen Kindheitserlebnissen gehören. Seine - früher von ihm selbst - vom Klavier begleiteten Lieder sind so bitter böse, dass sie für die auf Breitenwirkung und Quote schielenden Fernsehanstalten offenbar nicht zumutbar sind (das ist der Grund, warum ich sie so schätze).


Die Songs, die Tim Fischer gesungen hat, waren zum großen Teil speziell für sein Programm geschrieben. Mit seinen - wie ich mir habe sagen lassen - 86 Jahren ist Kreisler offensichtlich immer noch gesund (= böse) genug, dass seine Texte nichts von ihrer Schärfe verloren haben. Großartig, wie er in seinen "Liebesliedern" öden Ehealltag und gute Bürgerlichkeit beschreibt: "Zu Hause sitzt der Tod" (zum Beispiel).


Kreisler ist wahrscheinlich auch privat so wie er sich in seinen Liedern zeigt, d.h. ich vermute, dass er so radikal lebt, wie er textet. Denn ich war mal mit seiner Tochter in einer Fernsehtalkshow, in der es um die Frage ging, ob Eltern ihre Kinder bedingungslos lieben müssen/sollen/können. Sandra war als Beispiel dafür eingeladen worden, dass ein Vater die Beziehung zu seinen Kindern abbricht - nicht im Streit, sondern weil er meint, er habe mit ihrer Aufzucht genug für sie getan und nun sei es genug. Sie rächte sich an ihm (so meine Deutung), indem sie mit seinen Songs auf Tournee ging. Die Appelle des Moderators an den Vater ("Bitte melde Dich!"), den Kontakt doch wieder aufzunehmen, verhallten... (Allerdings waren die Kreislers nur Randfiguren in unserem Gruselkabinett, bestehend aus der Mutter eines Serienmörders, einem bekannten Fersehschauspieler und seiner Mutter, einer Mutter, die ihr Kind in einem Bastkörbchen auf dem Nil ausgesetzt hat, und anderen merkwürdigen Figuren wie mir).