Gemeinsame Einsichten

Vielen Dank, liebe Frau Taraba und lieber Herr Röttsches für Ihre inspirierenden Kommentare zu meinem Beitrag, dass Paare miteinander sprechen sollten, am besten zwie und regelmässig und über das, was jeden innerlich bewegt.

Ich stimme mit Ihnen, Herr Röttsches völlig überein, dass Sprechen allein nicht das “Heilmittel“ ist und es gefährlich ist, wenn der Partner zur alleinigen Bezugsperson wird, mit dem zwangweise ALLES geteilt, offenbart und gelebt werden muss. Welch atemlähmende Vorstellung! Erst die Vielgestaltigkeit unserer verschiedenartigen Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen in wieder verschiedenen Kontexten und Gruppen ( Skatklub, Sportverein etc.), erlauben eine kreative und lebendige Gestaltung und Expressivität unserer Indivudualität. Nur so wird und bleibt der Partner attraktiv und begehrenswert, regeneriert und füllt z.B. sein Männliches wieder unter Männern so wie Frauen ihr Weibliches unter Frauen, um einer sonst drohenden Konfusion und Verschmelzung zum unisexuellen, kongruenten siamesischem Zwilling zu entgehen.


Was ich am 19.1. beschrieben hatte, entspringt meiner nun fast siebenundzwanzigjährigen Tätigkeit als Psychologin in privater Praxis, bei der ich ausgiebige Gelegenheiten hatte, mitzuerleben, wie Paare wild und dramatisch ihre ungelösten unbewussten und bewussten Familiengefühle, familiäre Dauertraumata und unerfüllte Sehnsüchte zu den Eltern auf den Partner projizieren, übertragen, überstülpen und vehement, blind und stur in der Lebensrealität der Vergangenheit Unmögliches jetzt einfordern. Alle Varianten sind zu sehen: der Partner (oft der EheMANN) soll endlich die „gute Mutter“ sein, die DAAAAA ist und das Kind WIRKLICH SIEHT, die familiären unbewussten Traumata werden wiederholt, der Partner ( genauso natürlich die Partnerin) wird sitzengelassen wie damals der Opa mit der Oma wütete, und dann erst die Verschiebungen, besonders die doppelten: Mann oder Frau kriegt den meist rächenden Fegefeueraffekt ab, wird gnadenlos verletzt und betrogen, natürlich in der eigenen Wahrnehmung der Gerechtigkeit oder Selbstbefreiung. Dieser Affekt gehört aber eigentlich einem Vorfahr oder-fahrin, dem damals vom Partner bös mitgespielt wurde. Also- Reinszenierungen! Die Reihe ist natürlich unvollständig und liesse sich unendlich in vielerlei Variation fortsetzen.


Zwiegespräche erlauben, diese Muster zu erkennen, Einsicht zu ermöglichen, Aha-Effekte herzustellen, indem familiär Beziehungsbedingtes bewusst wird.

Es ist ein Such- und Erkenntnisakt! „Was läuft hier bei uns eigentlich ab, woher kenne ich dieses Gefühl, diesen Affekt?“

Es kann so eine Metaebene entstehen, das Feld wird weiter und ein Blick von dieser neuen Perspektive kann ein Loslassen (hier ist das doch auch gut angewendet, Herr Röttsches, oder?!) dieser Wiederholungsmuster in Gang setzen, in denen beide unbewusst wie Marionetten gefangen waren. Es ist ein Irrglaube zu meinen, Paarbeziehungen werden durch unter bewusstes Wollen und Tun gesteuert! Es sind die unbewussten systemischen Familienschicksalskräfte, die hier ihre manchmal sehr diabolische Hand im Spiel haben.


Beim Zwiegespräch kommt man gemeinsam vielleicht dem Einen oder Anderen unbewussten Fahrplan auf die Schliche und kann dann: neu erfinden und ausprobieren, Alternatives konstruieren, früheres Gutes rekonstruieren, kleine Veränderungen machen, etwas (Kleines) etwas anders machen.... und lege arte eventuell eine Musterdurchbrechung hinkriegen. Dem angewandten Konstruktivismus sind hier keinerlei Grenzen gesetzt und hier könnte doch eigentlich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen ihm und der vom ihm meist ungeliebten, weil anders beinhalteten systemischen Therapie Bert Hellingers sein.


Doch das ist Arbeit für das Paar, innere Arbeit für beide mit der Chance dabei jeder einzeln ein Stück mehr (denn in der nächsten Beziehung geht bekanntlich Dasselbe in neuem Gewand wieder von Neuem los) erwachsen zu werden und gemeinsam zu reifen. Es geht um ein Erkennen und Ordnen der wirkenden Paarbeziehungskräfte, die, sobald erkannt, für eine Wandlung geöffnet sind. Übrigens muss ein Paar dafür nicht Psychologie studiert haben, gesunder Menschenverstand hilft genauso.

Wird die Art dieser Selbstexploration im Dialog regelmässig vom Paar gemacht, entsteht ein besonderer innerer autonomer Prozess, der etwas schwer in Worten zu beschreiben ist. Vielleicht ein Bild: es sind jetzt nicht nur die Zwei sich Gegenüber mit ihren wechselseitig unterstellten Absichten und Kampfmethoden, sondern das Feld ist grösser, viel mehr von den im Inneren der Seele aktiven und agieren Bindungspersonen des Systems gehören jetzt dazu. Die Zwei können statt in sich weiter verkeilt zu bleiben sich langsam auf einen Beobachterplatz zurückziehen, von dem aus sie gemeinsam wie in einem Theater die wundersam komplexen dramatischen Reinszenierungen auf der Bühne ihres täglichen Lebens erkennen können. Manchmal lachen die beiden auf ihrem Logenplatz sogar über die skurilen Wiederholungen oder kindlich-trotzigen Beharrungsformen frühfamiliärer Verschmähungen, die dem oder der Anderen heute über die Rübe gehauen werden.


Eigentlich wollte ich heute etwas über Mütter und Söhne schreiben, vielleicht morgen. Hans ist seit gestern auf seiner homöopathischen Dozentenversammlung und mein ältester Sohn hat mich überraschend besucht. Ihm fällt gerade in seiner Prüfungsstresszeit die Decke auf den Kopf.

Bis jetzt klappt es ganz gut,meine Dinge zu tun, die ich mir für das Wochenende vorgenommen habe und nicht zu viel nährende, tröstende und Lebensweisheiten spendende Mutter zu sein. Mal schauen wie es heute weitergeht.


Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Samstag !

Heidi Baitinger