Geld

Der Crash an den Börsen in der vergangenen Woche erinnert wieder einmal daran, auf welch weichen Boden unser gesellschaftliches Zusammenleben gebaut ist: auf kollektive Wahnsysteme (wenn man es nüchtern und deswegen wohl auf den ersten Blick provokativ formuliert).


Denn Geld irgendeinen Wert zuzuschreiben ist ja eine höchst ungewöhnliche und unwahrscheinliche Angelegenheit. Sie ist eigentlich nur zu erklären, wenn man die Analogie zur Zuschreibung von Sinn zu irgendwelchen Lauten (Worten, Sätzen etc.) betrachtet. Die haben noch weniger materiellen Gehalt oder Wert als das Papier, aus dem die Geldscheine bestehen. Ihre Bedeutung erhalten beide erst durch den Gebrauch, d.h. durch ihre erlebbare Funktion in der Kommunikation. Man möchte einen Apfel kaufen, bietet dem Besitzer dafür diese Scheine oder Münzen an, und er trennt sich tatsächlich, manchmal sogar freudig, von seinem Eigentum. Offenbar hat er die Suggestion, dass dieser Zettel mit den Zahlen drauf zu irgendetwas gut sein könnte und ihm daher mindestens soviel Wert zugeschrieben werden sollte wie dem Apfel, akzeptiert.


Schwieriger wird die Angelegenheit, wenn man für solche Zettel andere Zettel kauft, in der Hoffnung dafür später noch mehr Zettel mit Zahlen drauf zu erhalten: Produkte des Finanzmarktes (Aktien, Anleihen, Derivate etc.). Hier werden jeden Tag - zumindest seit es die elektronischen Medien gibt - Billionen von Euro um die Welt transferiert, ohne dass auch nur Zettel mit Zahlen drauf in die Hand genommen würden. Die Fiktion des Wertes hat seinen Höhepunkt erreicht, man braucht nicht mal mehr konkrete Geldscheine, um Geld auszugeben oder einzunehmen. Alles virtuell, alles reiner Wahn - nur dass man ein Wahnsystem nicht Wahnsystem nennt, wenn es von der Mehrheit der Mitmenschen geteilt und als Realität akzeptiert wird. Dass die Finanzwirtschaft üblicherweise von der Realwirtschaft unterschieden und ihr entgegen gesetzt wird, ist aber auf jeden Fall nur zu plausibel.


Was ist passiert, nachdem der Aktienwert in den Depots gesunken ist? Materiell ja erst mal nicht viel. Aber in der Selbstbeschreibung der Depotbesitzer vieler hat sich was geändert: Aus der Idee, reich zu sein, ist die Idee, verarmt (oder zumindest weniger reich, wohlhabend - was immer) zu sein, geworden. Das allerdings kann dann weitreichende Konsequenzen haben, auch und gerade in der harten Realität...


Ein schönes Beispiel dafür, wie eine relativ "weiche", d.h. sich leicht durch Beobachtung verändernde, Realität Einfluss auf relativ "harte", d.h. durch ein materielles Substrat gestützte und daher durch schliche Beobachtung nicht so leicht zu verändernde, Realitäten haben kann.


Dass Märkte manisch-depressiven Mustern folgen, ist deskriptiv offensichtlich. Dass ihre Dynamik auch so erklärt werden kann, kann man ganz gut belegen (s. das Kapitel dazu in "Gemeinsam sind wir blöd" - ich kann und will es hier nicht noch mal schreiben).


Übringens, eh ich es vergesse: Revue für Postheroisches Management (www.postheroisches-management.de) auf jeden Fall lesen!