Gedanken zur Wahl

Die Gelegenheit ist zu verlockend, um nicht so kurz vor der Wahl noch ein paar Bemerkungen zur aktuellen Politik abzusondern:


1. Wachstum und Arbeit:

Das soll nun das Rezept sein, auf das sich die großen Parteien eingeschworen haben. Auf dieses sieche Pferd hat die rot-grüne Regierungskoalition gesetzt und will nun verstärkt die CDU setzen, so sie denn an die Macht kommt.

Wenn man religiös wäre, müsste man zum Himmel flehen und schreien: „Gott, schmeiß Hirn vom Himmel!“

Kurz gerechnet: Bei einer jährlichen und allgemeinen Produktivitätssteigerung von 1 bis 2 Prozent, wie wir sie zu verzeichnen haben, benötigte man ein Wirtschaftswachstum von 0,5 bis 1 Prozent (nicht jeder ist ja im produzierenden Gewerbe), um die Arbeitslosigkeit konstant zu halten. Wird die Wochenarbeitszeit um 5% erhöht, bräuchte man ein Wirtschaftswachstum für das erste Jahr der Erhöhung von 3 bis 3,5 Prozent. Wohlgemerkt, nicht um Arbeitsplätze zu schaffen, sondern um sie konstant zu halten.

Nun – so munkelt man jedenfalls – gehört die Bundesrepublik Deutschland ja nicht mehr zu den Entwicklungs- bzw. Schwellenländern, bei denen man ein Wirtschaftswachstum von 5 bis 10 Prozent erwarten kann. Haben unsere großen Parteien davon noch nichts gehört?

2. Umverteilung von Arbeitszeit

Es ist doch ein Segen, dass man weniger arbeiten muss, um die gleichen Produktmengen zu erzeugen. Das bedeutet aber, dass Arbeitszeit umverteilt werden müsste und zur Zeit noch eine 30 Stunden-Woche von extremer Arbeitslosigkeit zur relativen Vollbeschäftigung führen würde. Übrigens konnte ich vor ein paar Tagen in der taz lesen, dass Otto Graf Lambsdorf 1982 Arbeitzeitverkürzungen angemahnt hat, damit man eine gesellschaftlich nicht mehr zu verkraftende Arbeitslosigkeit von 2 Millionen Arbeitslosen vermeiden kann. Im Zuge der neoliberalen Revolution, in der sich nicht nur die Sprache, sondern auch die Algebra des Großen Bruders aus George Orwells Roman durchgesetzt hat, gelten ganz andere Formeln: Mehr Wochenarbeitszeit schafft mehr Arbeitsplätze und 2 und 2 ist 5.

3. Soziale Gerechtigkeit

Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit werden in diesem unseren Zeitalter als Populismus abgetan. Übrigens eine Vokabel, die mittlerweile die taz – hoffentlich nur gedankenlos – von der Bildzeitung nachplappert.

Mit den eingesparten Milliarden Euro könnte man nun wirklich das Projekt „Mehr soziale Gerechtigkeit“ finanzieren und angemessenerer Unterschiede bei den Gehältern bzw. Einkommen, dazu würde gehören: Abschaffung des Niedriglohnsektors und Erhöhung bei den geringen Einkommen bei gleichzeitiger Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Das wäre wirklich ein solidarischeres Gemeinwesen.

Stattdessen wird von Neid geredet, wenn es als ungerecht empfunden wird, dass ein Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank in einer Stunde so viel verdient, wie ein Hartz IV Empfänger in einem Jahr. Wer hat eigentlich diese Neiddebatte finanziert??

Vielleicht hat ja Schröder gehofft, dass Hartz auch eine Lanze für die 30-Stunden-Woche bricht, wie er das bei VW getan hat?

4. Angst vor der Zeit des Schweigens

Als Rot-grün an die Macht kam, waren für mich die spürbarsten Veränderungen, dass rechtsradikale Übergriffe nicht mehr verschleiert, verharmlost und verschwiegen wurden, sondern in den gesellschaftlichen Diskurs überführt wurden, in Kommunikation kamen. Dadurch erst wurde es möglich, solche Gewalttaten zurückzudrängen, die während der Vorgängerregierung – wie ich befürchte – billigend in Kauf genommen wurden, ja sogar als Anlass genommen wurden, um gegen Asylbewerber/innen die Gesetzgebung zu verschärfen.

Als ich noch in Mecklenburg-Vorpommern meine Praxis betrieb, wurde das von Indern bewohnte Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite von Rechtsradikalen in den frühen Morgenstunden angezündet. Nur durch einen Zufall kamen die Bewohner/innen mit dem Leben davon, das Haus brannte vollkommen aus. Es wurde nichts in den Zeitungen darüber berichtet, nur ein einziger Satz erwähnte die Brandstiftung in einem kommunalen Anzeiger. Ein paar Monate zuvor, gab es einen seitenlangen Artikel, in dem die Bestätigung der Stadtlaternen im Stadtpark von „Rowdys“ angeprangert wurde und 1.000,00 DM Belohnung für die Ergreifung der Täter/innen ausgelobt wurden. Da dachte ich, wenn es so weiter geht, dann müssten hier UNO-Blauhelmsoldaten für die Sicherheit der Flüchtlinge sorgen; den die damalige Regierung unternahm offensichtlich nichts, war nicht willens oder fähig dazu. Das ist nicht nur ein Skandal, sondern eine Schande, eine Schande für ein Land besonders mit unserer Geschichte.

5. Last but not least: Nachhaltigkeit

Das übergreifende Ziel der Politik müsste es sein, 100%ig nachhaltiges Wirtschaften zu erreichen. Auf einem begrenzten Planeten von etwas anderem auszugehen, bedeutet, aktiv auf das Ende der Geschichte (des Menschen) hinzusteuern.