Freu Dich!(nicht zu früh...)

Im Rahmen einer Fortbildung zu pränataldiagnostischer Beratung lerne ich eine Referentin kennen, die mich durch ihre ungewöhnlichen Ideen sehr überrascht. Schon als Einstieg ihres Vortrages erklärt sie, dass sie nicht selten mit Paaren vier Stunden am Stück arbeitet, weil die Situation, wenn die mögliche Behinderung eines Kindes durch PND gerade festgestellt wurde, häufig für die Betroffenen so krisenhaft sei, dass man sie nicht damit allein lassen dürfe.

Na toll denke ich, das ist dann mal wieder eine Kollegin, die einfach kein Ende findet. Vor meinem inneren Auge sehe ich übermüdete, gequälte KlientInnen aus einem Beratungszimmer wanken und drinnen sitzt eine Beraterin, die sich immer noch nach getaner Arbeit im Flow befindet.

Im Verlauf des Vortrags werden noch viele meiner Sichtweisen irritiert. Ich finde die Frau zunehmend beeindruckend. Auch ich stehe nach jahrelanger Beschäftigung mit dieser Thematik der Pränataldiagnostik eher kritisch gegenüber. Als einen Vorteil sah ich bisher, dass Paare, wenn sie schon vor der Geburt ihres Kindes über dessen Behinderung Bescheid wissen, sich gut darauf vorbereiten können. Doch auch dieses Argument entkräftet die Kollegin sehr differenziert. Sie erzählt eine Fallgeschichte, in der die Mutter, nachdem die von der Behinderung erfahren hatte und unterschiedliche Bilder angesehen hatte, sich monatelang quälte, medizinische Bücher las und eine immer größere Angst und Panik vor dem Tag der Geburt entwickelte, wo sie dieses "Monster" endlich sehen würde.


Die Behinderung des Kindes erwies sich dann wesentlich geringfügiger als befürchtet, die Klientin konnte diese Bilder nicht vergessen. Die Beziehung zum Kind entwickelte sich sehr problematisch. Dem gegenüber stellte die Kollegin eine Fallbeschreibung, wo die werdende Mutter zwar während der Geburt zunächst geschockt war, sehr trauerte, viel weinte, in der Zwischenzeit ihr Kind jedoch liebevoll akzeptiert.


Sicherlich wäre es unsinnig, jetzt herausfinden zu wollen, was die "richtige" Vorgehensweise ist. Unterschiedliche Frauen werden Lebenssituationen unterschiedlich empfinden und die Art der (professionellen) Begleitung spielt eine Rolle. Viel interessanter finde ich bestimmte Aspekte ihrer Ausführungen. Im medizinischen System sei man immer darum bemüht, keine falschen Hoffnungen zu machen auch im Hinblick auf ein behindertes Kind. Sie selbst gehe davon aus es gäbe nie falsche Hoffnung, sondern immer nur richtige; diese richtige Hoffnung gäbe Kraft auch für neue, anstehende schwierige Lebensereignisse. Genauso sei es mit der Warnung, sich nie zu früh zu freuen, (damit man hinterher nicht zu enttäuscht sei!) Auch diese Sichtweise werde vom medizinischen System vertreten, aber auch überhaupt in unserer Gesellschaft. Ihrer Ansicht nach gäbe es jedoch auch keine falsche Freude, sondern nur richtige Freude in der Gegenwart, die es als Ressource für möglicherweise folgende schwere Zeiten zu nutzen gelte. Ressumee: Menschen können ihr Leben nicht "in der Warteschleife" verbringen, was ihre Gefühle betrifft.


Erkenntnis des Tages: Sei glücklich, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bietet, lebe Deine Hoffnungen und freue Dich soviel du kannst!