Fress-Freunde

Ich war im Kino: „Madagaskar“. Zootiere hauen aus dem New York Zoo ab um die Freiheit, die Wildnis zu finden.


Mit den Kindern unserer Freunde schauen mein Mann ich ich uns gelegentlich Filme an, im letzten Jahr z.B. „Findet Nemo“. Jetzt lief „Madagaskar“ an – ein guter Kandidat für einen Kinonachmittag mit den Kindern.

Da die aber gerade in Urlaub sind und ich so gespannt auf den Film war, hab ich ihn schon mal angeschaut. (Letztlich brauche ich die Kinder doch nicht als Vorwand, um diese Zeichentrickfilme bzw. Animationen zu schauen... ;-) )


Mal abgesehen von echt clownesken Szenen, herrlich skurilen Charakteren und recht guter Mimik der Tiere fand ich einige Wirklichkeitskonstruktionen erstaunlich platt und unangemessen.


Wie immer geht es in diesen Filmen um Freundschaft, die sich gegen alle möglichen Krisen und Verstrickungen behauptet und am Ende natürlich siegt. Das finde ich pädagogisch ok und es trifft ein zentrales Lebensthema von ca. 6 bis 12 Jährigen. In der Zeit gestalten und erproben sie zunehmend selbst gewählte soziale Bezüge und lernen Gruppendynamik kennen.


Interessant ist, was bei Madagaskar nebenbei sonst noch für Wirklichkeiten vermittelt werden:


Um eine Problematik in der Freundschaft zwischen den Tieren zu schaffen werden ganz bestimmte Bewertungen über ganz bestimmte Tierfamilien benutzt, nämlich die der Jäger/Fleischfresser und die der Pflanzenfresser. Der Löwe und seine Freunde das Zebra, das Nilpferd und die Giraffe entdecken, gestrandet auf einer tropischen Insel, die Fleischfressernatur des Löwen. Zum ersten Mal im Leben bekommt der nämlich keine Steaks mehr serviert und kann die Früchte und Blätter, die den anderen bequem ins Maul wachsen, nicht vertragen. Er weiß noch nicht, dass Zebras in freier Wildbahn seine Nahrung darstellen und dass er sie normalerweise jagt.


Dann greift er instinktiv und von Hunger getrieben mehrmals seinen Freund das Zebra an und alle sind entsetzt. Er ist ein Monster! Er ist genau so schlimm wie die Fossas (so was wie kleinere, katzenähnliche Rudeljäger), die immer die gastfreundlichen, niedlichen und lieben kleinen Lemuren fressen!


Also im Klartext sind die Pflanzenfresser die Guten – sie sind lustig, lieb, tun keinem was und wollen mit allen gut Freund sein. Und die Fleischfresser sind die Bösen – sie zerstören die Idylle der Pflanzenfressergemeinschaft.


Und im speziellen zerstören sie die Freundschaft zwischen unserem Löwen und unserem Zebra.


Im laufenden Film habe ich mich schon gefragt, welche Lösung diese Geschichte wohl haben wird, nachdem die Fronten so eindeutig geklärt wurden. Der Löwe muss Fleisch fressen zum Überleben, aber wer darf nun gefressen werden? Eigentlich nur die bösen Fossas. Aber da bliebe immer dieser schrecklich rohe Akt des Jagens und Tötens. Und der Film vermittelt unausgesprochen, dass das nicht akzeptabel wäre, die Freundschaft zum Zebra und den anderen wäre nicht mehr möglich. Noch hat der Löwe niemanden gefressen und es ist klar, der Film will so etwas auch nicht zeigen.


Der Film löst das Problem einerseits sehr kreativ.

In einem spektakulären Showdown rettet der Löwe seine Freunde vor einem Angriff der Fossas, indem er den echten Löwen markiert. Er demonstriert gegenüber den Fossas wüstes Territorialgehabe und gibt vor, seine Freunde seien seine Beute.

Er schafft es also, wie ein echter Löwe aus seiner Raubtierhaftigkeit heraus zu agieren und kraftvoll zu kämpfen und laut zu brüllen. Und gleichzeitig wächst er noch darüber hinaus, negiert den urtümlichen Impuls, indem er seine Freunde eben nicht frisst.


Schon irgendwie eine tolle Sublimation. Und die Freundschaft ist ist aufs neue bestärkt. Der Löwe hat gelernt, sich zu kontrollieren und hat erneutes Vertrauen der Pflanzenfresser.

Aber dennoch muss er was fressen. Das sehen immerhin alle ein.


Jetzt kommt der Film mit einer weiteren kreativen Lösung:

Die Pinguine servieren ihm Sushi. Also eigentlich Sashimi – rohen Fisch, geschickt in zarte, rechteckige Häppchen zerlegt.


Was für eine Szene: Sie stecken dem Löwen ein winziges Häppchen rohen Fisch ins Maul, er kaut und schluckt, die Spannung steigt – und er sagt: „Aaaaaaaah, viel besser als Steak!“ Alle jubeln und das Problem ist gelöst! Nie wieder muss sich ein braver Pflanzenfresser vor dem Löwen fürchten, alle können Freunde bleiben und der Löwe braucht nicht zu verhungern.


Ist ja prima, dass der Film die Freundschaft und Selbstüberwindung so hoch schätzt. Aber schade, dass er dafür ziemlich eingegrenzte und wenig gute Konstruktion über das Tierleben benötigt.


Die systemischen Konstruktionen sehen wesentlich mehr ökologische Zusammenhänge über Fressen und Gefressen werden und letztlich die „Gutheit“ von beidem. Und sie lassen auch Fische als Tiere gelten ;-)

Das sind ja auch längst keine Neuigkeiten mehr und deshalb wundert mich, wieso dieser Film Kinder mit diesen engstirnigen, längst überholt geglaubten Konstruktionen füttert.


Ich bin der Meinung, dass Kinder unsere besten Konstruktionen verdienen und die Chance bekommen sollten, gleich in die ökologisch ganzheitlichere Haltung hinein zu wachsen.


So weit ich mich erinnere, hat z.B. der Film „König der Löwen“ das schon besser gemacht. Da taucht der circle of life auf, in dem jedes Tier mit seinen spezifischen Konditionen seinen berechtigten Platz hat und die Pflanzenfresser die Fleischfresser letztlich genau so brauchen, wie die Fleischfresser ihre Beute.


In „Madagaskar“ werde ich mit den Kindern nicht gehen. Hinterher beginnen sie noch, ihre Katze Lili zu hassen, wenn sie wieder Mäuse anschleppt. Oder sie glauben, sie wären die besseren Vegetarier, wenn sie Fisch essen...