Fördern Konstruktivisten die Beliebigkeit?

Konstruktivistische Ansätze legen sehr viel Wert auf eine Beobachtertheorie. Dies mag dann kritisch erscheinen, wenn der Eindruck entsteht, dass nur noch beobachtet, aber nicht mehr teilgenommen oder agiert werden soll. Aber der Konstruktivismus hat keine bloß passive Auffassung des Beobachtens, die nur konstatiert, was vorhanden ist, sondern zugleich eine aktive Auffassung darüber, warum und wie Menschen ihre Wirklichkeiten konstruieren. Hier wäre es grob vereinfachend, wenn man die Öffnung konstruktivistischer Ansätze für Fragen der Selbst- und Fremdbeobachtung, für ein möglichst weites Schauen auf der Inhalts- und Beziehungsebene, für ein systemisches Verständnis lebensweltlicher Vorgänge damit verwechseln würde, dass der weite Anspruch zugleich Beliebigkeit im Schauen oder eine Offenheit im Interpretieren erzwingen würde, die zu keiner schlüssigen Aussage mehr gelangen könnte. Der Konstruktivismus fragt im Gegenzug die sehr auf Eindeutigkeit, Letztbegründung oder universelle Normen orientierten Ansätze, inwieweit sie offen genug sind und hinreichend weit und der Vielfalt von Beobachtern entsprechend verfahren. Damit ist eine Relativierung von Beobachtungen angezeigt, die für die heutige Zeit als zwingend erscheint: Es gibt, wie es Nelson Goodman ausdrückt, immer mehrere konkurrierende Versionen von Wirklichkeiten, auf die sich Menschen einigen müssen.


Aber: Der Einigungsvorgang ist als Konstruktion bestimmter Wirklichkeiten keineswegs beliebig, wie auch Konstruktivisten betonen. Nur legen sie mehr als andere Ansätze darauf Wert zu zeigen, dass vor solcher Einigung nicht nur verschiedene Beobachtungen, sondern auch mit diesen verschiedene Versionen von Wirklichkeiten existieren können. Dies erzeugt die Paradoxie, dass Konstruktivisten gerade ihre Kritiker verstehen können.