Flüchtlingsheim

Ich war in einem Flüchtlingsheim und habe es mir angeschaut, mit den Mitarbeitern geredet, ihre Interaktion mit den Bewohnern beobachtet...


Es liegt in einer der häßlichsten Gegenden Berlins - und Berlin ist bekannt für seine häßlichen Gegenden - in einem Industriegebiet, direkt an einer Hauptverkehrsstraße, auf der ständig dicke LkWs lang brettern. Die Fenster zum engen Bürgersteig, der nur durch einen knappen Meter das Heim von der Strasse trennt, sind zugeklebt, um die Bewohner vor den Blicken eventueller Flaneure zu schützen. Der äußere Eindruck: schrecklich!


Umso erstaunter bin ich dann drinnen: Die architektonischen Verhältnisse sind auch drinnen nicht so, dass ich da selbst gern einziehen würde. Die Flure kahl, die Gemeinschaftsküchen wie auf neuseeländischen Cmpingplätzen (nur, dass es nicht nach Schaf stinkt). Immerhin hört man drinnen nichts von den LkWs. Und das Haus ist mehr zum Garten orientiert, wo sich ein Kinderspielplatz befindet, der an ein Wohngebiet (kleinbürgerlich) grenzt.


Das Personal ist sehr offen und gesprächsbereit. Sie sind ganz offensichtlich sehr engagiert, scheinen ihre Arbeit zu lieben (ja, tatsächlich!), was sich im Umgang mit den Bewohnern zeigt. Es gibt keine Sprechzeiten, so dass dauernd irgendwer ins das spartanisch eingerichtete Büro kommt, um Fragen zu stellen, Hilfe beim Ausfüllen eines Formulars zu erbitten usw.


Im Heim wohnen ca. 200 Leute, davon ca. 60 oder 70 Kinder. Es gibt einen eigenen Kindergarten. Alle Kinder gehen zur Schule bzw. in unterschiedliche Schulen, weil es gar nicht so einfach ist, Plätze für sie zu finden. Und die Kinder gehen wirklich in die Schule, weil zur Not auch die Eltern geweckt werden, wenn es Zeit ist, den Ranzen zu packen, und freundlicher Druck gemacht wird.


Die einzelnen Zimmer sind standardisiert möbliert: Betten, Stühle, Tisch, Schrank, Kühlschrank. Waschräume/Duschen, Toiletten, Küchen, Waschmaschinenraum mit Trockner gibt es auf jeder Etage mehrere. Doch jenseits der Standardmöblierung sind die Zimmer so etwas wie exterritoriale Räume, in denen jede Familie eine eigene, kulturspezifischen Dekoration vorgenommen hat. Es sind andere Farben und Dessins, als sie in deutschen Einraumwohnungen (um mal diesen euphemistischen Begriff zu verwenden) zu finden sind. Man schafft sich Heimat in der Fremde.


Die Bewohner wirken ganz zufrieden. Sie finden im Heim Freunde, Leute, von denen sie Informationen bekommen, Anweisungen für das Überleben in Deutschland, gegenseitige Hilfeleistungen.


Eine Freude ist es, die Kinder anzuschauen. Einige, die aus der (Grund-)Schule kommen, grüßen freundlich mit Handschlag und sind stolz darauf, dass sie die Regeln guten detuschen Benimms beherrschen. Um ihre Integration mache ich mir - ehrlich gesagt - keine Sorgen.


Das Personal berichtet von der Überforderung vor zwei Jahren, als sie permanent improvisieren mussten. Doktoren suchen, die arabisch können, Schulplätze, wo es eigentlich keine gibt usw.

Aber sie haben das alles ganz gut hingekriegt: Keiner klagt, obwohl alle sagen, dass es schwierig ist. Keiner bagatellisiert die Probleme, aber es ist auch keiner da, von dem ich denken würde, dass er AfD wählen würde, obwohl dies keine ehrenamtlichen Helfer sind, sondern (unter-)bezahlte Fachkräfte.


Ich gehe angenehm überrascht nach Hause. Die Bewohner, die ich kennen gelernt habe, bringen mir den Spruch von Harry S. Sullivan ins Gedächtnis, einem Psychiater, der als einer der ersten soziale Perspektiven in die Psychosentherapie eingeführt haben:

"We all are more human than otherwise."