Fiasco

Zur Zeit lese ich ein Buch mit dem Titel „Fiasco“, und wen würde es bei diesem Titel wundern, dass es um den letzten Irakkrieg geht. Der Autor, Thomas E. Ricks, ist ein als seriös anerkannter Journalist (Gewinner des Pulitzer-Preises), der bei der Washington Post arbeitet und auf militärische Themen spezialisiert ist.


Er hat hunderte von Personen interviewt und rekonstruiert, wie die Entscheidung zum Krieg zustande kam. Das Ergebnis ist ehrlich erschütternd. Bislang hatte ich ja den Eindruck, hier hätten einige unanständige, machtgeile, von der Waffenindustrie gesponsorte Menschen ihr unseliges Werk vollbracht. Jetzt weiß ich – und das erschüttert mich wirklich –, dass es einige unanständige, machtgeile, von der Waffenindustrie gesponsorte, hochintelligente, besserwisserische, idealistische Idioten waren (z. B. Wolfowitz und die ganze Bande um Rumsfeld). Sie waren dabei nicht nur „gemeinsam blöd“ (das auch, mit all den bekannten Mechanismen, und nicht zu wenig), sondern auch individuell, jeder für sich.


Hohe Intelligenz und Blödheit schließen sich ja nicht aus. Denn Blödheit hat mit dem Sozialverhalten zu tun. Auch in diesem Fall war – wie bei vielen anderen Kriegen zuvor – zu beobachten, wie gefährlich es ist, wenn Leute die Macht haben, die keinerlei Selbstzweifel daran hegen, dass sie die Guten sind, und darüber hinaus auch noch denken, dass sie die Schlauesten sind.

Das Buch zeigt, dass – wie in Vietnam – alle Informationen zur Verfügung standen, um im voraus wissen und sagen zu können, dass dieser Krieg ein Abenteuer würde, das im Desaster endet. Das haben auch viele vorhergesagt, in Memoranden schriftlich niedergelegt, bei Meetings ausgesprochen usw. Vor allem die Militärs, die bis dahin im Nahen Osten in hoher und höchster Verantwortung standen (z.B. der langjährige Oberbefehlshaber). Alles, was jetzt dort in den letzten drei Jahren passiert ist, wurde prophezeit. Nicht nur vereinzelt, sondern häufig, wiederholt, immer wieder... Aber wer glaubt schon an Erfahrungen (vor allem anderer), wenn er eine Theorie hat? (Nichts gegen Theorien, aber sie sollten nie mit dem Leben verwechselt werden: Es ist selten so eindeutig, wie die Theorie erwarten lässt.)


Aber die Rumsfelds waren so davon überzeugt, dass sie wissen, was richtig ist, dass sie alle Einwände beiseite geschoben haben. Sie umgaben sich nur noch mit Jasagern (das sog. „Erich-Honnecker-Syndrom“). Darüber hinaus disqualifizierten sie alle, die Meinungen äußerten, die ihren widersprachen, oder auch nur die Frage stellten, was denn nach einem Sieg geschehen sollte, als vaterlandslose Terroristenfreunde. Und wenn man davon überzeugt ist, recht zu haben, ist die Fälschung von Geheimdienstdaten auch nur noch eine Petitesse...


Die traurige Wahrheit ist, dass hier absolute Dilettanten entschieden und geplant (oder besser: nicht geplant haben). Sie haben sich so verhalten, wie jemand, der nach dem Studium von Schokoladenherzen beginnt, Operationen am offenen Herzen durchzuführen. Alle Einwendungen derer, die sich ihre Leben lang mit dem Nahen Osten oder auch der Planung militärischere Interventionen beschäftigt haben, wurden besserwisserisch Beiseite geschoben.


Das Problem ist einfach, dass man sich auf Bosheit, Machtgier oder moralische Verkommenheit von Mächtigen ja ganz gut einstellen kann, aber bei Dummheit ist das viel schwerer.


Die Folgerung, die ich für alle, die in Leitungsfunktionen stehen, aus diesem Buch ableite, ist: Organisiert euch euren Widerspruch, sonst bekommt ihre ihn nicht. Tödlich ist, sich mit Jasagern zu umgeben. Und ganz allgemein gilt: Wo immer man sich in einen Streit begibt (von Krieg gar nicht zu reden), sollte man sich überlegen, was man denn tut, wenn man wirklich gewinnen sollte...


Thoma E. Ricks: Fiasco – The American Military Adventure in Iraq. Penguin Press, New York, 2006