Familie

Um den Beitrag von Herrn Kasper aufzunehmen, und das nicht nur in der Kommentarspalte, ein paar Anmerkungen zu dem von ihm angesprochenen Thema.


Ob Eva Hermann nun mit Eva Braun gleich zu setzen ist, weil sie gesagt hat, dass die Nazis auch ihr Gutes hatten (früher waren es die Autobahnen, jetzt ist es die Glorifizierung der Mutterrolle) scheint mir zweifelhaft. Eva Braun hat sich jedenfalls nicht öffentlich geäußert - zumindest, wenn ich recht informiert bin, zur Mutterschaft (nicht mal zu Autobahnen).


Auf jeden Fall sind Nazivergleiche immer blöd und - das sollte eigentlich jedem klar sein - gefährlich, weil sie immer dekontextualisieren, verharmlosen usw. Deswegen werde ich mich hüten, hier über irgendsowas zu schreiben.


Also: Nicht zu Eva Hermann, sondern zu Horst Kasper. Und auch da eher frei assoziativ zur Wiederentdeckung der Familie.


Ich persönlich habe keinerlei Zweifel daran, dass wir vor einer Renaissance der Familie stehen. Nicht weil ich denke, dass hier alte konventionelle Werte wieder aus der Mottenkiste geholt werden (sollten), sondern weil wir in einer Zeit leben, die zunehmend von Individualisierung geprägt ist...


Während früher die Gründung einer Familie ein Akt der Konformität und der Befolgung gesellschaftlicher Erwartungen war, der nur zu oft - vor allem für die Frauen - mit der Notwendigkeit der Selbstverleugnung verbunden war, ist heute die Gründung einer Familie fast so etwas wie ein Akt des Widerstandes gegen die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.


Das mag auf den ersten Blick etwas merkwürdig klingen und bedarf der Begründung.


Wenn wir aus einer systemtheoretischen Perspektive schauen, dann leben wir in einer Zeit, in der die meisten Leute ihren Lebensunterhalt als abhängig Beschäftigte in Organisationen verdienen. Dort sind sie nur sehr partiell gefordert, dafür aber zu 100%, d.h. nur ein kleiner Teil ihrer Fähigkeiten, Bedürfniss und Interessen wird dort genutzt und/oder befriedigt, der aber ausschließich. Als ganzer Mensch kommt man eigentlich nur noch in der Familie vor. Nur dort wird man (zumindest potentiell) mit allen seinen Macken und Vorzügen gesehen. Ob das die körperliche Ebene, vom Sex bis zum Zahnschmerz, oder die psychische, vom Liebeskummer bis zur Leidenschaft, betrifft, jedes 'Thema kann eigentlich angesprochen werden. Und wenn man nicht drüber reden oder hören will, so muss man das begründen. Das mag im Einzelfall unangenehm sein, aber auf der anderen Seite ist hier der einzige Ort, wo man nicht primär unter funktionellen (sachbezogenen) Aspekten betrachtet wird. Wenn man mal von engen Freundschaften absieht, gibt es diese Form der Personenorientierung systematisch nur noch in der Familie. Alle anderen Beziehungen sind entweder durch Rollenerwartungen in Organisationen geprägt oder marktförmig. Je mehr Marktaspekte die Interaktion bestimmen, desto austauschbarer und entindividualisierter ist man als einzelner.


Mit der zunehmenden Glpbalisierung, die in unseren Gegenden (tatsächlich, wenn auch nicht notwendigerweise) mit einer Angleichung unseres Wirtschaftssystems an US-amerikanische Verhältnisse verbunden ist, nehmen die marktförmigen Beziehungen zu. Die Austauschbarkeit steigt, die Zuverlässigkeit der Beziehungen sinkt. Eva Hermann ist ein gutes Beispiel: Sie ist eine prominente Karrierefrau, und nur weil sie sich in ihrer Blödheit zeigt, wird ihr der Stuhl vor die Türe gesetzt. In einer Familie (der NDR ist offenbar keine) hätte man sich mokiert, geärgert etc., aber sie wäre nicht gleich ins Heim gegeben worden...


Die Familie ist der einzige Ort, an dem sich jeder seine Nicht-Austauschbarkeit und Individualität beweisen kann. Zumindest für die Beziehung zu den eigenen Kindern gilt dies, für die zum Partner eingeschränkt. Deswegen geht von Kindern auf Dauer gesehen eine ungewöhnliche Attraktion aus. Denn nur sie können so etwas wie die eigene Unverwechselbarkeit und Individualität erfahrbar machen.


Die stärkere Marktorientierung in den USA erklärt daher auch, warum die Familie dort so überhöht wird. Man ist flexibel, zieht dem Job nach, von der Ostküste zur Westküste usw., die Familie kommt mit. Sie ist der einzige Ort, in der eine Person ein sicheres - marktunabhängiges - soziales Netz findet. Deshalb konnten die Familienflaschen von Coca Cola erfunden werden, die Familienpackungen Speiseeis, die Family Restaurants etc. Wo viel Markt ist, braucht man einfach viel Familie, weil man sonst eingeht wie ein Primeltopf...


Das gilt für Männer wie für Frauen. Männer hatten immer den Vorteil, Karriere machen zu können und gleichzeit diese Funktion von Familie ausschöpfen zu können. Frauen, die Karriere machen wollen, haben diese Chance leider immer noch nicht. In der Regel müssen sie sich gegen die Familie entscheiden, und damit entscheiden sie sich dafür, ihr Leben in den Dienst eines sozialen Systems (der Organistion) zu stellen, dessen Rationalität in der eigenen Austauschbarkeit (d.h. jedes seiner Teilnehmer/Mitarbeiter) besteht. Das ist nicht nur riskant, sondern paradox...


Das dürfte einer der Gründe sein, warum Frauen sich immer noch für die Familie entscheiden. Denn langfristig ist die Beziehung zu Kindern sinnstiftender als beruflicher Erfolg. Das gilt allerdings genauso für Männer. Auch die könnten nur gewinnen, wenn neue Modelle praktiziert würden, in denen die Familie und der Beruf für beide Geschlechter miteinander vereinbar wären... (Vorschläge dafür gibt es ja).