Familie

Ich will nochmals darauf zurückkommen, auch wenn das Thema hier vielleicht offene Türen vorfindet und deswegen schon fade ist: Wenn die Nazis die Mutterrolle g l o r i f i z i e r t haben, dann haben sie damit das getan, was jedes mehr oder weniger totalitäre Regime auf seine Weise immer tut und getan hat, wann immer ihm dies nötig schien. Sie haben damit im Grunde darauf verwiesen, was der ganz gewöhnlichen Mutterrolle an gesellschaftlicher Macht inne wohnt. Dass die Nazis diese für sich zu nützen trachteten, kann aber die damit ursächlich verbundene Lebensstruktur nicht wirklich berühren. Deren negative Betonung jedoch, womit immer die auch begründet wird, kann diese Struktur partiell vernichten.


Man darf deshalb die Hervorhebung der Mutterrolle den Nazis weder vorwerfen noch mit deren Betonung und deren Nutzung durch die Nazis umgekehrt reüssieren.


Totalitäre Unfreiheit und überzogene Freiheit, letztere wir ja bei jeder Gelegenheit reklamieren, entspringen b e i d e dem Wunsch, keine Verpflichtungen, keine Verantwortung und keine Verantwortlichkeit zu übernehmen. Das muss man sich vor Augen halten. Ich fühle mich davon übrigens nicht ausgenommen, darüber nachzudenken.


Man darf deshalb die Macht dieser Rolle, die wie man ja sieht zur Ohnmacht werden kann, auch nicht mit der Familienpolitik der Nazis in Verbindung bringen. Man lenkt nämlich mit dem ironischen Slogan, von der Glorifizierung der Mutterrolle durch die Nazis, mit welchem man die Mutterrolle in einen denunzierenden Zusammenhang bringt, vom augenblicklichen armseligen Status der Familie und der eigentlichen Anerkennungswürdigkeit der Mutterrolle ab.


Man erklärt mit dem ihm innewohnenden Sarkasmus, die individuelle und gesellschaftliche Nichtwertschätzung dieser Rolle zum erwünschten Zustand, der leider staatlich zugleich nicht erwünscht sein kann, weil damit die Renten ausfallen.


Diese Paradoxie erzeugt ein fatales Dilemma, dem wieder mit Spott und Häme begegnet wird, so dass man sich mit der eventuellen eigenen Kinderlosigkeit auf der richtigen Seite weiß. Es geht nicht allein um die demografische Entwicklung und freundliche Übernahme durch andere Kulturen, und um die Renten, sondern tiefer betrachtet, geht es um die Infragestellung und Aufgabe des eigenen kulturellen Hintergrundes, um das Abschneiden, beziehungsweise Austrocknen Jahrhunderte lang gewachsener Wurzeln, also um Selbstaufgabe in mehrfacher Hinsicht und im großen Stil. Ja. Na und? Um uns Deutschen ist es eh nicht schade. Was uns Deutsche betrifft, ist es sowieso besser, wenn wir uns nicht weiter fortpflanzen. Blöd nur, dass es viele dennoch tun und eine zunehmend orientierungslose, identitätslose, kulturlose, familienlose Generationenfolge gestartet haben.


Kinder haben nichts lieber als Familie. Ehemalige Kinder erinnern sich als Erwachsene (unter anderem) an nichts lieber als an Familie, an Traditionen, an die komplexen Beziehungen, an die Festtage und Tafeln. Man denke an Ingmar Bergmanns Film „Fanny und Alexander“


Familie, wenn sie als Ressource verstanden wird, und an dieser Ressource auch gearbeitet wird, bedeutet Vertrauen, Schutz, Geborgenheit, emotionalen und geistigen Reichtum und deshalb Wurzellegung aller für das künftige Leben notwendigen menschlichen Fähigkeiten. Das scheint, nach dem Einbruch durch die Naziherrschaft nicht Allgemeingut geblieben zu sein, – davor war es das aber doch noch irgendwie.

Familie bedeutet einen vielfältigen Verwandtschafts- und Freundespool, bedeutet eingebunden zu sein in einen fördernden, fordernden an menschlichen Schätzen reichen, emotionalen Verband unterschiedlicher Persönlichkeiten vor einem geistigen und kulturellen Hintergrund, der Identität stiftet. Das alles scheint nicht mehr besonders erstrebenswert zu sein. Angesichts der persönlichen Aufstiegsmöglichkeiten, wo andere schon auf der Couch zu Hause sitzen, scheint es wichtiger Gas zu geben, als Kinder in die Welt zu setzen.


Die Mutter ist, was mittlerweile bestritten sein dürfte, das gesellschaftliche Potenzial schlechthin. Auf sie bauten die Neandertaler, auf sie baute praktisch jeder archaische Kult und darauf gründet also letztendlich, offen oder verdeckt, jede Religion und Kultur.


Unsere Aufgeklärtheit stellt es jedem vorauseilend frei, zu tun, was er will. Letzteres scheint vielfach und undifferenziert das einzige lohnende Ziel und Kultur schlechthin zu sein. Unsere Aufgeklärtheit installiert nützlicher – und nahezu notwendigerweise den Zwang, Frei-Zeit zu konsumieren. Das heißt Unterhaltung zu haben, im Sinne des Gehaltenwerdens, vertständlich bei Freiheit und Freizeit von Kindern.


Kinderzeit kontra Konsumzeit. Wenn schon Kinder, dann kleine umfassend bediente Konsummonster, dann gleich das gemeinsame Konsumerlebnis der ganzen Familie am geschäftsoffenen Wochenende.


Das scheint das Haupt-Ergebnis unserer Aufgeklärtheit zu sein, wenn man davon absieht, dass, gemäß den Menschenrechten, eines Tages alle Menschen der Erde in den Genuss ungebremsten Konsums kommen sollen. Wär es nicht gescheiter unsrerseits rechtzeitig bewussten radikalen Verzicht zu üben und Bildungsgut zu produzieren?


Menschenwürde wird von uns (unter anderem) auch mit dessen voller und umfassender Konsumfähigkeit definiert. Das klingt selbstverständlich, aber darüber muss man einmal tiefer nachdenken. Hängt die Würde des Menschen am Konsum von zerstörerischem Überfluss und überbordendem Abfall oder an seiner Integrität, Identität und Bildung?


Dass Frauen im Westen immer öfter keine Kinder kriegen wollen, liegt am geistigen und materiellen Status der Unterprivilegiertheit und Armut, welcher Menschen anhaftet, die Familien gründen, Kinder kriegen oder gar Kinderreichtum pflegen. Eine harte Einschränkung scheint damit verbunden. Liegt weiters am unglaublich zögerlichen, quasi nur rentengenötigten, gesellschaftlichen Interesse an Kindern.


Den öffentlichen Status der Familie können wir, bekanntlich nur durch das gesetzlich verankerte Angebot an großzügigen Familien-Freiräumen und durch das Lockermachen entsprechender Budgets, materiell aufwerten und so freiwilligen Kinderreichtum begründen und ihn auch gesellschaftsfähig machen.


Wenn dem existenziellen Verhältnis von Mann und Frau nicht zugetraut wird auch heute zentrale, Kultur schaffende Beziehung zu sein, so liegt das am unterschlagenen Wissen, um die individuelle und die kollektive Kreativität der Menschen. Ein Wissen das, weil es nicht selbständig abgerufen wird, unterschlagen bleibt.


Kulturbewusstsein und Kreativität kann nicht bei der Not–, Armen- und Geistigen Behindertenbeschäftigung an PC, TV und Spielkonsole mit Chips, Pizza und Cola und elterlicher Absenz erwartet werden, die das notwendige Übel halbwegs in Grenzen halten könnten.


Kulturbewusstsein und Kreativität werden nur entweder von klein auf erlebt, gelebt und erfahren oder gar nicht, und können nur in der Familie gefördert, gefordert und herausgefordert werden. Ist das nicht ein ungemein lohnendes persönliches Ziel?


Der demografische Bann kann vermutlich, beziehungsweise sehr wahrscheinlich, nur von mündigen Individuen ignoriert werden, die nicht notwendigerweise auf die bekannte Art aufgeklärt sind, sondern sich lieber selbst und gegenseitig aufklären und ihre herrliche und frauliche Freiheit auf eine verantwortliche, sinnvolle und lebenswerte Weise nützen und erfahren wollen. Die Purismus und strukturelle Klarheit als coole Tugend betrachten können. Es genügt schon die kleinste exquisite Geisteshaltung, um dem Leben Reichtum und der eigenen Familie Identität zu geben.