Erinnerungen an Heinz von Foerster, mal so nebenbei…

Beim nächtlichen Surfen finde ich in der Internet-Ausgabe der TAZ vom 31.8. den neuen ["Tom"](http://www.taz.de/pt/2005/08/31.nf/tomnf), zu dem mir sofort - in freier Assoziation - eine Geschichte einfällt, die mir Heinz von Foerster einmal erzählte:


Heinz war Teilnehmer an einer Tagung in Leningrad, zu der unter anderem auch die berühmte Ethnologin Margaret Mead eingeladen war. Margaret Mead hatte den Wunsch, die berühmte Eremitage zu besuchen und Heinz bot ihr an, diesen Ausflug gemeinsam mit ihr zu unternehmen. Margaret Mead war damals schon gehbehindert und benutzte einen Krückstock (heute sagt man wohl Gehstütze). Als sie das Museum erreichten, stellten sie fest, dass es streng verboten war, einen Gehstock mit hineinzunehmen. Mead wollte umkehren, aber Heinz schlug vor, sich den Stock so unter Hosenbein und Pullover zu stecken, dass sie unbemerkt hineingelangen könnten, und sie am Arm hinein zu führen. Sie solle sich keine Sorgen machen. Und wie es so seine hinreißend charmante Art war, gelang es ihm, die sehr ängstliche Margaret Mead (immerhin zur Zeit des kalten Krieges mitten in der Sowjetunion) von seinem Vorschlag zu überzeugen.

Das Vorhaben gelang ohne Schwierigkeiten. Sobald beide die in das Museums-Innere gelangt waren, zog Heinz aber den Gehstock wieder aus seinem Anzug heraus und gab ihn Margaret Mead zurück. Sie erschrak fürchterlich, weil jede Menge Wachpersonal in den endlosen Räumen herumlief. Er beruhigte sie mit den Worten: "Dieses System macht keine Fehler", und in der Tat wurden sie bei ihrem weiteren Museumsbesuch von niemandem mehr behelligt.


Und da ich nun schon einmal bei Heinz von Foerster gelandet bin, erzähle ich mal weiter:


Heinz von Foerster lernte ich im Februar 1985 in St. Etienne kennen, auf einer herrlichen Tagung. Veranstaltet wurde sie von Reynaldo Perrone, einem argentinischen Familientherapeuten, der sich in St. Etienne mit einem Weiterbildungsinstitut etabliert hatte, an dem auch meine alte Freundin aus Studienzeiten in Bochum, Renate Blum-Maurice, mitwirkte, ohne die ich nie von dieser Tagung erfahren hätte. Neben Heinz waren auch Humberto Maturana, Edgar Morin und Carlos Sluzki auf der Tagung vertreten (mit dem leider bereits verstorbenen Heik Portele machte ich mich in der langen Warteschlange vor der Anmeldung bekannt).

Während der Tagung gab es ein oder zwei sehr amüsante private Begegnungen mit Heinz, der wie ich die Gastfreundschaft im Haus von Renate und ihrem Mann genoss, woraus sich ein gelegentlicher Briefwechsel und ein Besuch in Köln ergaben, verbunden mit einem Workshop bei der APF, deren Vorsitz ich damals innehatte.

Als wir Heinz anlässlich dieses Besuches in Köln zum Essen bei einem guten Italiener einluden, der seine Speisekarte auf einem Whiteboard an einer von uns zu weit entfernten Wand aufgeschrieben hatte, bestellte er als erstes ein Fernglas, das er zu unser aller Überraschung - und zur Freude des Restaurantchefs - auch sofort serviert bekam. Es war ein unvergesslicher Abend. Seine Präsenz und seine Fähigkeit, allen, die mit ihm zusammen waren, das Gefühl zu vermitteln, dass er sie auf ganz besondere Weise wahrnahm, waren unglaublich, seine Kritik (oder seine Art, sich abzugrenzen) nie beschämend.


Nach seinem Workshop am nächsten Tag hatte er das Bedürfnis, noch einmal der eigenen Geschichte nachzuspüren. Wir fuhren zu zweit in den Kölner Süden, wo er Anfangs der 30er Jahre, nachdem er die Wiener Technische Hochschule ohne Abschluss verlassen hatte, bei der Firma Leybold, einer Produktionsstätte für technisch-physikalische Geräte (z.B. Vakuumpumpen) eine Anstellung gefunden hatte, bis er Mitte der 30er Jahre nach Berlin zu Siemens wechselte. Er erzählte begeistert und lebendig vom Kölner Karneval und einer Liebschaft, die sich daraus ergeben hatte und fand schließlich zu seiner Rührung sogar die kleine Grünanlage und Laube wieder, in der er damals regelmäßig sein Pausenbrot verzehrte, merkwürdigerweise trotz aller städtebaulicher Veränderungen nach über 50 Jahren immer noch am alten Platz. An all dem ließ er mich teilhaben wie einen alten Freund.


Eigentlich wollte ich über etwas ganz anderes schreiben. Nun bin ich (mit einer gewissen Sentimentalität) bei persönlichen Geschichten gelandet. Und je älter die systemische Bewegung wird, desto wichtiger werden vielleicht auch Geschichten. Vielleicht stellt ein Blog auch eine Möglichkeit dar, Geschichten mitzuteilen und zu sammeln? Welche Erinnerungen habt Ihr, haben Sie an Heinz von Foerster? Welchen Unterschied macht es, ihm persönlich begegnet zu sein? Wenn ich heute zum Beispiel den schönen Interview-Band von Albert und Karl Müller mit Heinz lese ("Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen", Kadmos-Verlag Berlin 2002), höre und sehe ich Heinz beim Sprechen - und freue mich. Gleichzeitig frage ich mich die unbeantwortbare Frage, wie ich den Band lesen würde, wenn ich ihn nicht persönlich kennen gelernt hätte.