Erdbeeren

Es ist Erdbeerzeit, gerade sah ich schon am frühen Morgen die Menschen in dem Selbstpflückbeet hocken. Ich betrachtete das Geschehen mit neuem Interesse, nachdem ich in einem Führungsseminar in einer diakonischen Einrichtung einiges über Erdbeeren gelernt hatte:

Wie kommt es, dass auf den religiösen Bildern der letzten Jahrhunderte so viele Erdbeerpflanzen gemalt wurden?

Das hat mit der vielschichtigen Symbolik der Erdbeere zu tun: dass die Frucht an der Erde wächst, symbolisiert die Demut und Bescheidenheit, die weiße Blüte (na?) – die Unschuld Mariens, der dreiblättrige Wuchs der (wilden) Erdbeere die Dreieinigkeit. Die fünfblättrige Blüte ihrerseits wird als Sinnbild für die fünf Wunden Christi (Hände, Füße, Brust) verstanden. Die rote, nach unten geneigte Frucht wurde als die Speise kleiner Kinder im Paradies und als Symbol für das vergossene Blut Christi oder der Märtyrer gedeutet (was dem Geschmack nicht schaden soll - wir testen das noch aus!).

Bei der Recherche im Internet fand ich, dass den alten Germanen die Erdbeere als Symbol der Sinnesfreuden und des sinnlichen Verlangens galt (was im "Garten der Lüste" des niederländischen Malers Hieronymus Bosch wieder auftauchte), später als Traumsymbol bekam sie eine deutlich erotische Bedeutung.

Ob das bei der christlichen Symbolik heimlich mittransportiert wird- eine Art trojanisches Pferd? - man blickt demütig mit gesenktem Haupt (oder hockt entsprechend im Erdbeerfeld), schwingt mit der erlaubten Bedeutung der heiligen Symbolik, tief innen bereiten sich aber die Sinne schon längst darauf vor, spätestens beim Genuss der Frucht in erotischen Fantasien zu schwelgen. Wahrscheinlich zeigen sich hier die zwei Arten des In-der-Welt-seins, die Mircea Eliade in seinem Werk „Das Heilige und das Profane“ beschrieben hat, die zwei existentiellen Situationen, die der Mensch im Lauf seiner Geschichte ausgebildet hat: ein beliebiger Gegenstand offenbart das Heilige, oder: ihm wird das Heilige zugeschrieben, er wird zu etwas anderem und hört doch nicht auf, er selbst zu sein, ihm bleibt seine ursprüngliche Funktion und Bedeutung weiter zugeschrieben.

Und das alles mit der Erdbeere! Wie soll man sie mit diesem Wissen weiter unschuldig essen können? („Zu viel Wissen schadet nur“ hatte uns doch gerade eben die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung gewarnt) Verändert sich mit Wissen auch die Geschmacksempfindung? Probieren wir es aus, machen wir einen Feldversuch: in die Pflückanstalt gehen, demütig das Haupt neigen (damit man die Dinger sieht), andächtig an Unschuld, Blut u.ä. denken, die Erdbeeren in die Hand legen und schon beim Betrachten und dem Imaginieren des Verzehrs auf die Aktivitäten der Sinne und der Triebe (der eigenen erstmal) achten. Dann unmittelbar die Verkostung – hat sich der Geschmack im Vergleich zu früher verändert? In welche Richtung und woran merken das die anderen?

Nebenbei ist die Erdbeere eine der kalorienärmsten Früchte mit wertvollen Inhaltsstoffen (z.B. Vitamine C, A, E, Magnesium, Kalzium, Eisen). Ihr wird heilende Wirkung bei Leber- und Gallenleiden, Magen- und Darmstörungen, Herzbeschwerden, Blutarmut, als allgemeines Stärkungsmittel, gegen Rheuma und Gicht und bei Bronchitis zugesprochen. Sie habe ein hohes präventives Potential wurde in dem Führungsseminar berichtet, was den Klinikverantwortlichen endlich die Erklärung für Belegungseinbrüche im Juni/ Juli lieferte. Man sollte eben auch Führungsseminare eng an den jahreszeitlichen Ereignissen entlang führen.

Es ist eben Erdbeerzeit – nutzen wir sie!