Entscheidung I

Hallo liebe LeserInnen,


Ich wünsche allen kleinen und grossen Kindern einen wunderbaren Kindertag.


Herzlich willkommen nun wieder an Bord der "Systemtheorie", deren Route Sie heute ganz dicht an der Skylla des Trivialen und der Charybdis des Allzu Spröden vorbei führen könnte. Die Besatzung ist ausgeruht, der Kapitän macht ein Nickerchen. Sei's drum.


Die Jagd auf die Credit Points geht weiter:


Die Hilfen des Allgemeinen Sozialen Dienstes jeder Kommune, dessen berufliche Spezialität übrigens ihre thematische Unspezialität ist, sind gewissermassen die Urenkel der lebensweltlichen Hilfen aus der Vorvormoderne: Konnte früher die Gabe [zeremonialer Tausch] den eventuellen Bedarf nach Booten, Nahrung oder auch Frauen in archaischen Gemeinschaften ausgleichen, ist das infolge von Arbeitsteilungsprozessen später nicht mehr möglich, weil ein wesentliches Motiv wegfällt: die Reversibilität der Lagen. Durch die unterschiedlichen Tätigkeiten differenzieren sich zudem auch die Bedarfslagen aus.


Hilfsbedürftige Personen, die überraschend an fremde Haustüren klopfen, treffen zuverlässig auf Personen, die in dem Moment gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigt sind und können daher nur unzuverlässig auf Bedürfnisbefriedigung hoffen. Falls es doch einmal zu einer Hilfe kommt, dann wird zwar der Bedarf beseitigt, nicht aber die Ursache für den Bedarf. Mit eher unerwünschten Folgen für den [Aus-]Helfer: am nächsten Tag klopft es wieder.


Diese Bedürfnisbefriedigung übernehmen nun in der Moderne/Postmoderne immer mehr organisierte Sozialsysteme des Helfens.


Der Vorteil liegt auf der Hand: sie operieren von solcherlei individuellen Situiertheiten unabhängig und halten an und für sich unwahrscheinliche Hilfen zuverlässig erwartbar. Der ASD ist Teil der vordersten Abfanglinie der Gesellschaft für allzu zu abstrakte Hilfeerwartungen.


Der Nachteil -- wenn Sie etwas romantischer herangehen wollen -- natürlich auch: Helfen ist [primär ]keine Sache des Herzens mehr, sondern eine Frage der fachlichen Entscheidung in der Organisation.


Diese Funktion können Organisationen wie diese aber nur erfüllen, indem sie lediglich allgemeine Orientierung im Dickicht der spezialisierten Hilfsangebote geben. Dies impliziert ein niedrigschwelliges Angebot: jeder Bürger hat ein Anspruch auf Hilfeleistungen des ASD unabhängig von seiner Bedarfslage und Einkommenslage [d.h. immerhin persönliche Beratung].


Die Organisation, z.B. der ASD, besteht natürlich NICHT aus Menschen wie Sie und ich, obwohl sie ohne uns auch nicht auskommen dürfte. Sie dauerreproduziert sich durch kommunizierte Entscheidungen – Organisationen, die nicht entscheiden können, wie sie entscheiden sollen, zerfallen relativ schnell.


Diese Entscheidungen werden übrigens erleichtert durch den binären Code ALLER Organisationen von Hilfe in den funktional differenzierten Gesellschaften: Helfen/Nicht-Helfen [wie einfach der Spielaufbau sein kann, wenn es nicht zu viele Abspielmöglichkeiten gibt --> vgl.: Ballack/Anderer].


Diese Entscheidung jedoch, die machen wir Sozialarbeiter uns wirklich schwer.


Die Sequenz paradox zusammenziehend: die operative Wirkeinheit postmodernen Helfens besteht aus der Einheit der Differenz von Helfen und Nichthelfen.


Mit herzlichen Grüßen


Jan V. Wirth