Entscheiden II

Hallo liebe LeserInnen,


noch ganz fröhlich-unsinnig unter dem Eindruck des 3:0 stehend begrüße ich Sie wieder herzlich zu einem neuen Sprachspiel, dessen überaus paradoxe Feinheiten Sie auf unserer klitzekleinen Reise nach Terra Constructa schon kennengelernt haben.


Die Entscheidung zu Helfen/Nichthelfen, hatte ich gestern noch gemeint, machen wir uns Sozialarbeiter nicht leicht. Natürlich kann ich da nur für mich sprechen [ich kenne ja die Regeln der TZI]. Wer das Gegenteil behauptet, dürfte aber seine guten Gründe haben.


Diese Entscheidung wird aber leicht, wird sie mal probabilistisch gewendet. Die Entscheidung in den Sozialsystemen der Sozialen Hilfe könnte ja ganz leicht sein, weil es nur zwei Optionen gibt: Helfen/Nichthelfen. Welche Entscheidung auch getroffen wird, sie ist mindestens zu fünfzig Prozent richtig. Vielleicht ist das zu wenig, um die hohen (?) Kosten für Soziales Arbeiten zu rechtfertigen, aber es ist besser als eine zu hundert Prozent falsche Entscheidung.


Eine Entscheidung wäre nach m.E. dann zu hundert Prozent falsch, wenn sie sich mit der Entscheidung, wie sie sich später entscheiden soll, erst gar nicht befaßt. Dies kann für die Soziale Arbeit ausgeschlossen werden. Aber dieser Gedanke ist noch nicht mit der Mannschaft des Schiffes abgesprochen.


Diese Entscheidung von Helfen/Nichthelfen wird wiederum schwer, halten wir uns vor Augen, was der frühere Kapitän des ehrwürdigen Schiffes einmal sagte, als er sich mit der Organisation der Entscheidung in ständig entscheidenden Organisationen auseinandersetzte.


Die Paradoxie des Entscheidens bestände darin, daß Unentscheidbarkeiten die Voraussetzungen für die Möglichkeit des Entscheidens sind. Heinz von Foersters bündige Formulierung: „Only those questions that are in principle undecidable, we can decide”. Wirklich Entscheidbares wird in der Organisation nämlich Gegenstand von Subroutinen, die die Entscheidung x-mal wiederholbar machen und den Entscheidungsprozess so automatisieren.


Kommen wir -- sukzessive abmoderierend -- noch zum Derridaischen Paradoxon der Organisation überhaupt.


Jede Organisation ist zuallererst die Organisation von Wiederholung. Wir können es auch Rechenhaftigkeit, Berechenbarkeit, Erwartbarkeit, Routine oder ähnlich nennen. Die Organisation sozialer Hilfe – z.B. der ASD – hat nun das Problem, daß jeder neue Fall anders ist und einer einzigartigen Interpretation bedarf, für die keine schon bestehende [frühere] Regel angemessen sein kann. Insofern wird der ASD seine Ziele [professionelle Beratung] verfehlen, solange er sich nur auf sich selbst stützt und nicht auch auf sein Anderes: das Ausgeschlossene seiner Organisation, den Bürger.


Entscheidungen sind in der Organisation sozialer Hilfe nötig, obwohl sie unmöglich sind – unmöglich z.B. in den Begriffen von Kosten/Nutzen-Erwägungen, denen sich die Betriebswirtschaftslehre verschrieben hat. Aber auch unmöglich, weil sie nicht ohne die postmoderne Einsicht in die Möglichkeit auskommen, daß es auch anders "richtig" sein könnte.


Wie denken Sie darüber? Nun, ich werde es nie erfahren, wie Sie aus Irritation III wissen. Leider.


Mit herzlichen Grüßen


Jan V. Wirth