Eingeweideschau oder Wissenschaft?

Die Debatte um den Kreationismus tobt. Als vermeintliche Alternative zur wissenschaftlichen Arbeit der Evolutionsbiologie rennt die religiöse Bewegung in Amerika unter der Flagge des Intelligent Design gegen den Darwinismus an – zielt allerdings auf die gesamte als materialistisch verschriene Naturwissenschaft.


Auch in den deutschen Medien wird auf diese Weise den religiösen Eiferern des Intelligent Design in die Hand gearbeitet, denn allein die Diskussion über diese „Sichtweise“ adelt den wissenschaftlichen Unfug des Kreationismus. Auch dieser Blog leistet allein durch die Erwähnung von Kreationismus und Intelligent Design einen traurigen Beitrag, um dem Verblendungsirrsinn die Tür zu öffnen.


Wie so oft führt man einen solchen Kampf zuerst über die Sprache. Dabei geht es weniger um Argumente, als vielmehr um die Deutungshoheit bestimmter Begriffe. Beispielsweise gilt der Begriff der Theorie im allgemeinen wissenschaftlichen Verständnis als die höchste Form der Erkenntnis, die möglichst viele Phänomene erklären kann. Von der religiösen Rechten wird der Begriff der Theorie aber im Sinne von „eine von vielen möglichen Erklärungen“ und als „Gegenteil von Gewissheit“ gebraucht.


Der Theorie stünde dann die religiöse Gewissheit gegenüber, die natürlich ohne Empirie auskommt.


Der Begriff der Theorie ist griechischen Ursprungs (_theōria_) und bezeichnet die Eingeweideschau eines Sehers. Ein Tier wurde geopfert, und aus der Lage der Eingeweide konnte der informationshungrige Feldherr beispielsweise den Ausgang der Schlacht vorhersagen lassen. In diesem esoterischen Sinne verwenden die Kreationisten den Begriff der Theorie heute.


Nun ist man als Systemtheoretiker einerseits jemand, der Dinge systemisch betrachtet. Und dazu gehört auch, dass wir Wahrheit und Wirklichkeit als individuelle Konstruktion verorten. Als Systemtheoretiker ist man aber auch Theoretiker, und zwar im besten Sinne jemand, der eben _keine Eingeweideschau_ betreibt. Denn die sozial gekoppelten Konstruktionen von Wirklichkeit müssen trotz alledem konsistent sein und können empirische Belege (Ko-Konstruktionen?) nicht einfach ignorieren. Konstruktivismus ist ja keine Beliebigkeitswissenschaft, wie alle Praktiker sicher zustimmen werden.


Als Psychologe und als Kognitionswissenschaftler und erst recht als Systemtheoretiker sollten wir uns weder die Empirie noch die Theorie aus der Hand nehmen lassen: Empirie ist Beobachtung und Erfahrung – zwei genuin systemtheoretische Begriffe. Theorie ist die wissenschaftliche Abstraktion davon.