Ein ruhiger Sonntag

Es ist Sonntag. Meine Auer-Weblogwoche nähert sich ihrem Ende. Und während es die letzten Tage ganz leicht war, eines der Themen zu wählen, die mir in den Sinn kamen, ist es plötzlich ganz schwierig – gibt es doch kein morgen mehr, das für das Andere, Weggelassene zur Verfügung stehen würde. Ich werde einfach so schließen wie ich begonnen habe – mit einem Blick in die Zeitung:


Hier in Österreich ist es gerade frühherbstlich lustig – drei Wochen noch – und wir dürfen das tun, was die Deutschen letztes Jahr tun durften: wählen. Und die Chancen stehen gar nicht so schlecht, dass wir danach mit demselben Resultat aufwachen, wie unsere lieben Nachbarn – einer großen Koalition. Was nur konsequent erscheint angesichts der Ununterscheidbarkeit der großen, breiten politischen Mitte in der Parteienlandschaft. Eines haben wir aber Deutschland voraus: Während dort mangels anderer Randerscheinungen schon die Linkspartei mit ihrem kreuzbraven sozialdemokratischen Programm den Paria abgeben musste, von dem sich alle abzugrenzen hatten, können wir hier mit einer Reihe von Absonderlichkeiten auf dem Stimmzettel und auch im Wahlkampf aufwarten.


Die größte Lachnummer liefert derzeit das BZÖ – eine neugegründete Partei, die bei der letzten Wahl noch nicht angetreten, trotzdem seit zwei Jahren Regierungspartei ist (nicht-österreichische LeserInnen müssen das jetzt nicht verstehen, verbuchen Sie’s einfach unter dem Label Bananenrepublik oder Operettenstaat) – dieses „Bündnis Zukunft Österreich“ kämpft nun als Klon der FPÖ um die rechtspopulistisch zu ergatternden Stimmen. Was sie dazu brachte, eine von einer Kulturspaßgruppe fingierte Forderung, die Gipfelkreuze auf Österreichs Bergen durch Halbmonde zu ersetzen, für bare Münze zu nehmen. Und kräftig dagegen loszuwettern. Da haben die besten Kabarettisten keine Chance mitzuhalten.


Natascha Kampusch hat im übrigen auch Eingang in den Wahlkampf gefunden. Die ÖVP hat ihre Wahlkampagne zum Thema „Sicheres Österreich“ mit der Forderung nach „härteren Strafen für Entführer“ ergänzt – zu schade, dass sich Frau Kampuschs Entführer umgebracht hat. Und das BZÖ des Jörg Haider plakatiert „Härtere Strafen für Kinderschänder.“


Das mit den Strafrahmen ist ja tatsächlich immer wieder ein Spiegel für die Wertigkeiten in einer Gesellschaft. Vor wenigen Tagen kamen Fremdenpolizisten, die die Misshandlung und Krankenhausreif-Prügelung eines schwarzen Schubhäftlings gestanden hatten, mit 8 Monaten bedingt davon – während ein Gericht tags darauf den Mann, der ein berühmtes Salzfass aus dem kunsthistorischen Museum entwendete und zwei Jahre später unversehrt wieder zurückgegeben hatte, zu vier Jahren Gefängnis verurteilte.


An den österreichischen Medizin-Universitäten beginnen derweil Aufnahmsprüfungen im großen Stil. Die EU ist ja erfolgreich dabei, das österreichische Prinzip des freien Hochschulzugangs auszuhebeln – durchaus im Sinn einer konservativen Elitenpolitik. Wie das geht? Nun, in Österreich konnten bis vor kurzem alle Menschen mit Abitur Medizin studieren, in Deutschland nur jene, die den Numerus clausus erfüllen. Um nicht von deutschen Medizinstudierwilligen überrannt zu werden, stellte Österreich mit dem EU-Beitritt die Regel auf, es dürften an österreichischen Universitäten nur jene studieren, die auch in ihrem eigenen Land eine Studienberechtigung hätten. Der EU-Gerichtshof befand das als Ungleichbehandlung von ÖsterreicherInnen und EU-BürgerInnen und daher als nicht EU-konform – womit Österreich vor der Wahl steht, tausende zusätzliche Studienplätze für deutsche StudentInnen zu finanzieren oder eben auch Zugangsbeschränkungen einzuführen. Wäre ja nicht die erste politische Frage, in der über die EU-Ebene Tatsachen geschaffen werden, die auf nationaler Ebene nicht durchsetzbar wären – man denke nur an die Maastricht-Kriterien und die diversen Pensionsreformen.


Und der Papst lässt sich in Bayern feiern. Jener Joseph Ratzinger der, als er noch nicht Benedikt hieß und so genannt Gutes zu sprechen hatte, in den 1970er Jahren als Chef der Glaubenskongregation südamerikanische Befreiungstheologen als Marxisten bezeichnete und den dortigen Militärdiktaturen damit willkommene Argumente zu deren Verfolgung lieferte. Und dessen Vorgänger Johannes Paul II. dem chilenischen General Pinochet zu dessen 80. Geburtstag noch Glückwünsche übermitteln ließ.


Ich lege die Zeitung weg. Wer jetzt trübsinnig geworden ist und droht, an der Welt zu verzweifeln, dem empfehle ich Rossinis Ouverture zum „Barbier von Sevilla“ zur Aufheiterung – hilft fast immer. Es ist wunderschönes Herbstwetter hier in Wien. Dieser Sonntag will noch woanders verbracht werden als vor dem Computer. Ich verabschiede mich.