Ein Gleiches: Moden damals wie heute

In den letzten zwei Tagen haben wir Mozart & Co ein klein wenig in Ruhe gelassen, kehren aber heute noch ein letztes Mal zu ihnen zurück, weil sich an ihnen "motivierte", also subjektive Wertschätzungen, die im vermeintlich objektiven Gewand daherkommen, so schön darlegen lassen.


Sind Mozart, Bach, Beethoven & Co grundsätzlich gut oder kann man auch sagen: „Na, in ihrer Zeit haben sie prima Musik gemacht und die Musik auf Vordermann gebracht, aber heute? – Ich weiß nicht!? U 2 und Bono find’ ich besser.“


Und wenn Ihnen dann ein Musikwissenschaftler die genialen Transpositionen, Modulationen und wagemutigen Akkordverbindungen von Mozart & Co (ja, ja von Bach und Beethoven auch) herleitet und das schlichte harmonische Modell der Songs von U 2 dagegenstellt, sind dann Mozart & Co, jenseits der willkürlichen Einteilung nach "E" und "U", nicht nachprüfbar besser? Immerhin hat man Ihnen doch begründet dargelegt die Schlichtheit von Rockmusik, vertreten durch U 2, und das Kunstvolle der klassischen Musik.


Die Antwort zu der Frage nach besser oder schlechter ist einfach zu beantworten: Sie lässt sich nicht beantworten. Und die Begründung ist ebenso leicht: Es gibt kein über Zeiten gültiges neutrales Bewertungskriterium, das über allen Gipfeln schwebte. Ein die U2-Rockmusik abqualifizierender Wissenschaftler folgt nämlich einem Musikverständnis, das im 19. Jahrhundert seine unbestreitbare Geltung hatte und das in das beginnende frühe 20. Jahrhundert noch ausstrahlte, und überträgt dies umstandslos auf das 21. Jh.. Er tut dabei so, als ob das gewählte Analyseinstrumentarium, das aus Notenlinien und Partituren abgeleitet wurde, zeitlos in der Zeit schwebte. Das aber ist schierer Unfug. Es wird das Analyseinstrumentarium der Vergangenheit einfach reflexionslos benutzt, so als ob es nicht ebenso in der Zeit verankert wäre und seine Zeit gehabt hätte, aber dabei nicht geprüft und diskutiert ob seiner Gegenwartsrelevanz.


Man glaubt einer Ontologie sich verbunden, wo der Grund am Ende aus einem Netz aus schlichten Worten gewoben ist, das sich halt- und bodenlos erweist.


Dass ein solches Vorgehen unsinnig ist, merkt man, wenn so genannte klassische E-Musik mit (na ja: fast) zeitgenössischer E-Musik, also bspw. J. S. Bach mit John Cage verglichen wird und die Frage beantwortet werden soll, wer denn nun die „bessere“ Musik gemacht habe. Wer die Fugen eines Bach schätzt und das mathematische Kalkül, das ihnen innewohnt, wird bei Cage, dessen Musik - verkürzt dargestellt - wesentlich auf Zufallsprozessen und Umweltrauschen beruht, jegliche Regel und "schöne" Harmonien vermissen und entsprechend negativ qualifizieren, wer dagegen aufgrund der gewollten Zufallsereignisse die Überraschungen in der Musik von Cage mag, wird in der Musik von Bach bestenfalls variierte, aber doch ständige Wiederholungen musikalisch schon bekannter Phrasen feststellen und aufgrund ihrer Voraussagbarkeit eine Langeweilemusik bei Bach feststellen. Ein Traditionalist wird also analytisch klar und „objektiv“ belegen können, woran es Cages Musik mangelt. Ein Erneuerer umgekehrt wird mit der gleichen Klarheit den Mangel an Information bei Bach und seinen Fugen und den Hang zur Redundanz belegen können. Ein jeder spricht klar und „objektiv“, und doch sind es in dem ein und anderen Falle vollkommen aus dem subjektiven Weltbild heraus gefällte Urteile, die kaum einen Hauch von tatsächlich grundierter Nachvollziehbarkeit besitzen.


Genau so verhält es sich, wenn Populäre Musik bzw. die zum Beispiel genommene von U 2 begutachtet wird. Es ist grotesk, die Mode-Kriterien des 19. Jhs. auf die Musik des 21. Jhs. anzuwenden. Als einzig „bedeutungsvolle“ Aussage könnte man dann bestenfalls feststellen, dass die so untersuchte Gegenwartsmusik von U 2 – wäre sie im 19. Jahrhundert (ersatzweise im beginnenden 20. Jahrhundert) so veröffentlicht worden – nicht mit einer wohlwollenden Kritik hätte rechnen dürfen: --- eine Erkenntnis, die am Rande der Belanglosigkeit sich bewegt, da dieser Aussagegehalt für praktisch jede Musik – transportiert in längst vergangene Zeiten – gilt: Auch Mozart hätte nach den Kriterien, die zwei Jahrhunderte vorher gültig gewesen waren, schlampig und schlecht komponiert. Das Gleiche gilt für Beethoven oder wen auch immer man heranziehen möchte. Beethoven hat man übrigens zu Lebzeiten den Vorwurf gemacht, er könnte nicht mal ordentliche Fugen wie zu Zeiten Bachs komponieren. Man kann - trotz der Großen Fuge, für die er heute musikwissenschaftlich gerühmt wird, sagen: Wozu auch? Und wozu sollten Musiker heute - eine musikalische Zukunft, fern der Klassik im Blick - Sonaten- und Symphonienkenntnisse haben, bzw. wieso sollten sie sich an einer solchen Musik, die klassisch, sprich: mausetot ist, messen lassen?


Wo Musikanalyse betreibende Traditionalisten heute trotzdem glauben, vermeintlich qualifizierte Urteile über aktuelle Musik zu fällen, sind sie allein von ihren subjektiven Befindlichkeiten und von individuellen Geschmacksurteilen bewegt, aber nie von objektiven Gründen. Sie mögen halt die Mode-Musik vergangener Jahrhunderte lieber. Das ist alles. Punkt! Aber Moden ändern sich nun mal, und zum Glück von Zeit zu Zeit folgen Stilbrüche, die das eine mit dem anderen nicht mehr vergleichen lassen.


Manchmal kennen jene Kritiker nicht einmal die Musik, über die sie urteilen. Adorno mochte bekanntlich keinen Jazz und fand viele kritische, natürlich wohlüberlegte und aus allen musikalischen Richtungen hergeleitete Gründe, warum Jazz schlecht komponierte Musik sei. Irgendwann stellte sich bei einer Staatsprüfung, die er leitete, heraus, dass Adorno die Jazz-Musik seiner Zeit nicht in Ansätzen kannte: Das ist praktisch. Man weiß zwar nicht, worüber man redet, hat aber eine fundierte Meinung dazu. Man könnte auch so sagen: Er spürte die mindere Qualität sozusagen. Warte nur, andere Worte wollen vielleicht gewählt sein, denn bald schon nach Adorno, heute halt, hätte man für eine solche Urteilsbildung vielleicht - wenn auch über Umwege - objektive Gründe gefunden, indem man von einer: eher "gefühlten" Einordung in die Kästchen "gut" und "mangelhaft" gesprochen hätte..

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Besser aber wäre es, traditionsbewusste Kritiker gäben Ruh und schwiegen. Und im Schweigen verbunden ruhten bald die beiden an den verschieden klingenden Musikwelten Anteilnehmenden und genössen vergleichslos ihre je favorisierte Musik –-- jedenfalls so lange, wie Kopfhörerlautstärken von mp3-playern in der Öffentlichkeit keine kakophonischen Überlappungen bedingten.

Aber vielleicht wertschätzt ja auch das der eine oder die andere.