Drogenprohibition III - Manifeste und latente Funktionen

Wie ich in bisherigen Ausführungen zu zeigen versuchte, ist die Lösung ‚Drogenprohibition’ für das Problem ‚Körperliche, psychische und soziale Schädigungen durch den Konsum bestimmter Substanzen’ weder durchführbar noch angemessen. Trotzdem wird sie mit grosser Beharrlichkeit durchgehalten. Damit stellt sich die Frage nach andern Funktionen, nach andern Problemen, für welche die Drogenprohibition die Lösung darstellen könnte. Auch hier wird man sofort fündig, wobei zu beachten ist, dass diese Funktionen - als Beobachterkonstruktionen - gesellschaftlich gesehen latent bleiben. Zwar sind die nachfolgend geschilderten Sachverhalte weit gehend bekannt, aber sie haben nicht die gleiche gesellschaftliche Anschlussfähigkeit wie die Problemlösung 'Drogenprohibition' - etwa dergestalt, dass die die entsprechenden politischen Entscheidungsprozesse zur Abschaffung der Prohibition durch sie erwartbar gemacht würden.


Eine dieser latenten Funktionen ist ‚Macht’. Schaut man die Drogenpolitik der letzten hundert Jahre an und verfolgt dabei die Rolle der USA, dann sieht man, dass das Wohl der Bevölkerung offensichtlich nur eine vorgeschobene Argumentation ist. Eine ihrer wichtigsten Wurzeln hat das US-amerikanische Bemühen, Opiate zu illegalisieren, Ende des 18. Jahrhunderts, wo versucht wurde, die wirtschaftlich immer erfolgreicheren und kulturell als fremd wahrgenommenen Einwanderer aus China zu diskreditieren. Weiter war der Kampf gegen die Opiate ein gutes Argument im kolonialen Wettkampf gegen den mächtigen Konkurrenten Grossbritannien, bei dessen Kolonialstrategie der Opiumhandel eine massgebliche Rolle spielte. Auch nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Drogenpolitik von USA aktiv in die Aussenpolitik einbezogen: durch die aktive Unterstützung von drogenproduzierenden Ethnien zur Abwehr von Kommunisten wie im ‚Goldenen Dreieck’ zu Zeiten des Vietnamkriegs, durch die Akzeptanz von Heroin als Zahlungsmittel wie in Afghanistan zur Zeit der russischen Invasion, durch militärische Kontrolle von unbequemen Ländern unter dem Vorwand des Drogenkriegs wie in Bolivien etc. Der Erwerb und die Erhaltung von Macht ist beeinflusst die Drogenpolitik nicht nur in den USA; sie ist in den meisten demokratischen Staaten ein bedeutendes Wahlkampfthema, mit welchem die Differenz von Regierung und Opposition bearbeitet wird – oft unabhängig von den sachlichen Argumenten, die dafür eingesetzt werden.


Ein weiterer Motivationsfaktor sind die bereits erwähnten ökonomischen Interessen aller Instanzen, die an Drogenproduktion und -vertrieb verdienen. Angesichts der horrenden Summen, die im Drogenhandel umgesetzt werden, wäre es naiv zu glauben, das seien nur obskure kolumbianische Drogenbosse oder die russische Mafia. Die ganze Problematik der ‚Geldwäscherei’ zeigt, dass der Drogenhandel ohne ein riesiges Netzwerk von Organisationen (Banken, Anwaltsfirmen, Industrien, in welche investiert wird etc.) bei weitem nicht so lukrativ wäre. Dazu kommt, dass die betreffenden Substanzen in der Regel in Weltregionen angebaut werden, die kaum eine Möglichkeit haben, sich mit andern Produkten ein Überleben zu sichern, weil die Preise auf dem Weltmarkt tendenziell eher sinken, während die Kosten steigen.


Ebenfalls zu erwähnen ist die Selbsterhaltung von parasitären (in Sinne von Serres) Organisation, die am Drogenverbot prosperieren – dieser immense Kontroll- und Sanktionsapparat, der (wie jede Organisation) nicht an seiner Abschaffung interessiert ist und einen riesigen Einfluss auf die politischen Entscheidungsprozesse hat.


Schliesslich wäre neben weitern andern möglichen Problemkonstruktionen auch der gesellschaftliche Nutzen von Randgruppen zu erwähnen, wie die ‚Drogenabhängigen’ eine darstellen. Nur mit Hilfe solcher Gruppierungen (die ‚Ausländer’ oder ‚Asylanten’ wären zwei weitere solch Gruppen) kann die eigene ‚Normalität’ in Differenz gesetzt und damit erst konstituiert werden.


Hebt man die Drogenprohibition auf, riskiert man nicht nur, dass es noch viel mehr Drogenabhängige gibt (das ist das zentrale, wenn auch unbegründete Argument); man verliert auch den Zusatznutzen auf den beschriebenen Ebenen. Blendet man dann noch konsequent aus, welche immensen schädlichen Nebenwirkungen die jetzige Lösung der Verbotspolitik beinhaltet, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich politische Mehrheiten für die Veränderung der entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen finden lassen, markant.


So bleiben wir auch hier beim bewährten ‚Mehr-Desselben’ und lassen uns trotz aller inhaltlichen Argumente nicht auf das Unbekannte einer Zukunft ohne Drogenprohibition ein. – Auch nicht zum Wohl der Drogenkonsumierenden, um die es uns (zumindest auf der Ebene der Semantik) immer zu gehen scheint. Wichtig ist dabei, dass diese Funktionen (Machterhaltung, Erhaltung von Organisationen etc.) gesellschaftlich latent bleiben. Das Argument "Wir müssen die illegalen Drogen weiter bekämpfen, um die Arbeitsplätze der Repressionsinstanzen zu sichern" wäre als Wahlkampfargument genau so wenig geeignet wie ein Statement der USA, dass es bei ihrer Drogenpolitik in Südamerika in erster Linie darum geht, den eigenen Hinterhof politisch unter Kontrolle zu halten. Diese Funktionen mögen vorherrschen, sie müssen aber immer durch eine Semantik überdeckt werden, die vorgibt, dass es um das Wohl und die Gesundheit der Konsumierenden und ihrer sozialen Umwelt geht.