Drogenprohibition II - Wovor schützt das Drogenverbot?

Gestern habe ich mir die Frage gestellt, wieso die Drogenprohibition trotz ihres offensichtlichen Misserfolgs und der Unmenge an schädlichen Nebenwirkungen aufrecht erhalten wird. Bevor ich morgen eine Antwort auf diese Frage suche, will ich heute der Sinnhaftigkeit der zentrale Argumentationslinie der Drogenprohibition nachgehen: Dabei zeigt sich, dass das meist genannte Argument für die Verbotspolitik – der Schutz der konsumierenden vor körperlichen und psychischen Schädigungen – in vielfacher Hinsicht zu widerlegen ist. Nehmen wir Heroin als Beispiel: Heroin ist wie alle Opiate ein äusserst potentes Schmerzmittel und zudem ein Schmerzmittel, welches praktische keine schädlichen Nebenwirkungen auf Körper und Psyche hat. Als hauptsächliche Nebenwirkungen werden in der medizinischen Fachliteratur gelegentliche ‚Obstipation’ (Verstopfung) und der zeitweise Verlust der sexuellen Appetenz genannt. That’s it. In andern Worten: Der tägliche Konsum von (reinem!) Heroin führt auch bei einer schwer abhängigen Person selbst nach Jahrzehnten nicht zu lebensgefährdenden Schädigungen wie sie etwa bei Alkoholmissbrauch oder regelmässigem Tabakkonsum nachwiesen sind.


Was die psychischen Nebenwirkungen von Heroin betrifft, so ist sicher das hohe Abhängigkeitspotenzial zu erwähnen, das in etwa dem von Nikotin entspricht (auch weil Heroin an die gleichen Rezeptoren andockt wie Nikotin, der Wirkmechanismus also ein ähnlicher ist). Wie bei allen Suchterkrankungen wird aber auch die psychische und körperliche Abhängigkeit von Heroin massiv durch die sozialen Rahmenbedingungen der Konsumierenden beeinflusst. So hat sich im Kontext des Vietnamkriegs gezeigt, dass nur 10% der opiatabhängigen Soldaten (und das waren in Vietnam über 60% aller Soldaten) ein halbes Jahr nach ihrer Rückkehr noch Opiate konsumierten – und dies, obwohl die entsprechenden Substanzen zu dieser Zeit (in Nachfeld der 68-Bewegung) einfach erhältlich waren. Das bedeutet erstens, dass die alte Schreckensthese ‚Einmal Fixen = abhängig’ nicht stichhaltig ist und dass zweitens der rekreative Gebrauch von Opiaten ohne Abhängigkeit genau so möglich ist wie bei Alkohol. Dazu kommt, dass in der Regel kaum bekannt ist, dass sich die Bewusstseinsveränderung von Heroin (und von Methadon) auf die Wahrnehmung von Gefühlen beschränkt und die kognitive Leistungsfähigkeit ausser in der Zeit während und kurz nach der Applikation nicht beeinträchtigt ist. Wenn die abschätzig als ‚Junkies’ bezeichneten Drogenabhängigen also zugedröhnt durch die Strassen wanken und schleppend sprechen, dann ist dies nicht eine Folge des Heroinkonsums, sondern der wirklich letalen Mischung von Alkohol und Schlaftabletten, mit der die Entzugserscheinungen herausgezögert werden sollen.


Wie immer, wenn die wissenschaftlichen Fakten zu heute verbotenen Substanzen offen gelegt werden, ist es angesichts der gesellschaftlichen Verteufelung dieser Substanzen unverzichtbar zu betonen, dass bewusstseinsverändernde Substanzen wie Opiate, Kokain, Cannabis, Ecstasy, LSD etc. mit genau so viel Vorsicht und Respekt behandelt werden sollen wie Nikotin und Alkohol. Es geht in keiner Weise darum, den sorglosen Umgang mit diesen Substanzen zu predigen. Es geht nicht darum, es schulterzuckend hinzunehmen, wenn Jugendliche jeden Tag von früh bis spät mit Cannabis voll gedröhnt durchs Leben irren – genau so wenig, wie akzeptiert werden soll, wenn sie sich jeden Abend bis zur Bewusstlosigkeit betrinken. Es geht darum, die Relationen ins rechte Licht zu rücken. Es geht darum zu zeigen, dass sich die Schädlichkeit des Konsums von Alkohol, Tabak, Heroin, Cannabis, Kokain, Schlafmittel etc. nicht so massgeblich unterscheidet, dass es sich in irgend einer Hinsicht rechtfertigen liesse, die einen Substanzen zu verbieten und die andern nicht nur zu erlauben, sondern sie auch noch bewerben zu lassen. Jede dieser Substanzen hat ihre Nach-, aber auch ihre Vorteile, und es muss bei jeder Substanz geschaut werden, wo diese Nach- und Vorteile liegen. Nur so wird eine nachhaltige Sensibilisierung der Konsumierenden möglich und nur so kann ein verantwortungsvoller Konsum unterstützt werden, der zukünftige Schädigungen so weit gehend wie möglich ausschliesst. Kokain ist eine andere ‚Gewichtsklasse’ als Cannabis, keine Frage. Nur, mit dem Verbot von Kokain ist das Problem nicht gelöst, dass Kokain konsumiert wird.


Wenn ich für eine Aufhebung der Drogenprohibition bin, dann immer auch in Hinblick auf die Aufhebung einer grossen Rechtsungleichheit. Während eine Substanz (Heroin) trotz ihrer nachgewiesenen weit gehenden körperlicher, psychischer und sozialer Unschädlichkeit nur unter Strafandrohung gekauft und konsumiert werden kann, während eine andere mit viel grösserem Schädigungspotenzial (Alkohol) im Detailhandel neben dem Brot verkauft werden darf, dann ist dies weder logisch noch rechtlich zu begründen. Und: Wenn ‚Sucht’ gesellschaftsweit als ‚Krankheit’ definiert wird, wie kann man denn darauf kommen, die ‚Kranken’ mit den Mitteln des Strafrechts zu verfolgen? Es wäre nicht viel anders, wenn man Insulin verbieten und die Zuckerkranken auf den Schwarzmarkt verweisen würde.


Morgen werde ich zum Abschluss dieser Überlegungen zur Drogenpolitik wie versprochen danach fragen, welches die Gründe für eine Beibehaltung der Drogenprohibition sein könnten, wenn die ‚offiziellen Gründe’ so offensichtlich nicht stichhaltig sind und der Erfolg der Massnahmen konsequent ausbleibt.