Drogenprohibition I - Vom Erfolg des Scheiterns

Nach meinem Plädoyer zur Aufhebung des Dopingverbots im Radsport (und in andern Sportarten) werde mich einem Thema widmen, das in mancher Hinsicht deckungsgleich mit der Doping-Thematik ist: der Drogenprohibition. Auch hier geht es um Funktionen und funktionale Aequivalente; auch hier stellt sich die Frage, wie man mit einer Problemlösung umgehen soll, die mehr Probleme schafft, als sie löst, und auch hier geht es um die Differenz von Sozialstruktur und Semantik, also um die Differenz zwischen dem, was geschieht, und der Art und Weise, wie das, was geschieht, in der Gesellschaft beschrieben wird.


Wenden wir uns der Funktion der Drogenprohibition zu, stellen wir uns also die Frage, welches Problem durch das Verbot Substanzen wie Cannabis, Opiaten oder Kokain gelöst werden soll. Die erste Antwort ist klar: Durch das Verbot sollen die Konsumierenden und ihre Umwelt vor den schädlichen Nebenwirkungen dieser Substanzen geschützt werden – insbesondere vor dem grossen Abhängigkeitspotenzial. Ein Blick in die relevante Literatur zeigt, dass die Erfüllung dieser ‚offiziellen’ Funktion nicht mit wissenschaftlich gestützten Argumenten zu belegen ist – zu offensichtlich ist das Scheitern der Drogenprohibition, zu gross sind ihre negativen Nebenwirkungen, zu schwach belegt ihre fundamentalen Argumentationslinien.


Was den Erfolg resp. den Misserfolg der Drogenprohibition betrifft, so muss man nicht lange Belegen suchen. 100 Jahre ‚war on drugs’ mit militärischen Invasionen wie in Panama oder Bolivien, mit der drakonischen Strafmassnahmen inklusive der Todesstrafe, mit einem Kontroll- und Durchsetzungsapparat mit Hunderttausenden von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen haben nicht verhindern können, dass sich die Zahl der Konsumierenden kontinuierlich erhöht hat, dass die verbotenen Substanzen praktisch in jedem grösseren Ort zu jeder Tages- und Nachtzeit aufzutreiben sind und dass sich der Drogenhandel trotz der Prohibition zu einem Wirtschaftsbereich entwickelt hat, der von den Umsatzzahlen her mit dem Erdölmarkt zu vergleichen ist und nur noch vom Waffenhandel übertroffen wird (mit dem der Drogenhandel bekanntlich in engem Zusammenhang steht).


Auch in Bezug auf die schädlichen Nebenwirkungen der Drogenprohibition ergibt sich ein eindeutiges Bild: Schädliche Strecksubstanzen; Atemstillstände infolge des unbekannten Reinheitsgrades von Opiaten; Zusatzkonsum von Alkohol, Benzodiazepinen und andern Suchtmitteln zur Hinauszögerung der Entzugserscheinungen; schwere virale Erkrankungen wie HIV/Aids oder Hepatitis infolge unhygienischer Konsumbedingungen; generelle Verwahrlosung in Hinblick auf Körperhygiene, Ernährung, Wohnbedingungen etc.; Beschaffungskriminalität und weit gehend fremd bestimmte Prostitution; ökonomische Faktoren wie die Verkürzung der durchschnittlichen Lebenserwartung von Drogenabhängigen oder die Kosten für die Durchführung der Repression, die in der Regel mehr als die Hälfte aller Gefängnisplätze für sich beansprucht etc. pp. – vom unermesslichen persönlichen Leid, das den Abhängigen und ihrem privaten Umfeld durch die Drogenprohibition zugefügt wird, ganz zu schweigen.


Morgen wenden wir uns der zentralen Argumentationslinie der Befürworter der Drogenprohibition zu – der körperlichen, psychischen und sozialen Schäden, die durch diese Strategie verhindert werden sollen. Dabei soll nach Faktoren gesucht werden, welche erklären, warum die Drogenprohibition trotz ihres Scheiterns so erfolgreich ist, d.h. trotz aller Misserfolge immer noch standhaft durchgesetzt wird.