Dottore, Dottore

Seit nunmehr etwa einer Woche beobachte ich täglich die Examensfeiern auf dem Campo S. Margarita in Venedig von meinem Capuccino aus.


Dabei scheint es zwei prinzipiell verschiedene Arten des Feierns zu geben. Ich habe noch keinen passenden Namen für beide bzw. den Unterschied gefunden.


Die eine scheint mir eher ordentlich und konventionell-bürgerlich zu sein: Man lässt sich mit den stolzen Eltern und den kleinen Geschwistern fotografieren, den Lorbeerkranz am Haupte, und geht dann in ein Restaurant, wo man Prosecco etc. auf den feierlichen Anlass trinkt. Die andere ist enthemmt, sinnlich, archaisch. Hier wird der Dottore oder die Dottoressa verkleidet, meist in ein lächerliches Kostüm gezwängt und zur komischen Figur gemacht, mit der man seinen Schabernack treibt und die dies willig mit sich geschehen lässt.


Gestern z.B. musste eine frisch gebackenen Dottoressa mit roter Perücke, scheusslichem grünen Rock und einem penisförmigen Schwert (sorgfältig aufgemalte Schamhaare am Griff) gegen, was weiss ich, wen oder was... kämpfen. Heute wurde ein junger Dottore an einen Laternenpfahl gebunden, mit Shampoo eingeseift und dann mit Wasser aus dem nahen Brunnen sehr, sehr lange getauft, gewaschen, gebadet... Alle hatten offenbar großen Spass an diesem Geschehen, und gesungen wurden höhnische Dottore-Dottore-Songs.


Was mir zu der zweiten Variante als mögliche Interpretation einfällt: Vielleicht muss man den gerade durch den Titelerwerb in eine höhere soziale Sphäre erhobenen durch solch ein Ritual wieder kleiner machen, damit die Beziehung zu den Freunden (= Symmetire) - denn die veranstalten dieses Schauspiel - nicht in Frage gestellt wird. Im Unterschied zum Spiessrutenlaufen, das als klassisches Übergangsritual funktioniert und demjenigen, der den Zutritt zu einer neuen sozialen Einheit/Schicht/Gruppe etc. sucht, von denen zugemutet wird, die schon dazugehören (er muss beweisen, dass er oder sie bereit ist, Opfer auf sich zu nehmen und sich den Gruppenregeln zu unterwerfen, um dazugehören zu können), findet hier das Ritual ja erst nach vollzogenem Statuswandel statt, und es wird nicht von denen vollzogen, die zu dieser neuen, höheren Gruppe oder Klasse gehören, sondern von den alten Kumpels, den alten Freunden, den Zurückgebliebenen...


Aber ich bin kein Ethnologe...