Die Wirklichkeit des Winzerkönigs

Die Wirklichkeit des Winzerkönigs


Ich glaub nur das, was ich wirklich gesehen habe, pflegte meine Tante Klara zu sagen. Damals ging das noch, weil man auch im Fernsehen alles schwarz auf weiß sah und weil der Konstruktivismus in der heutigen Form noch nicht so viel Verbreitung gefunden hatte, jedenfalls nicht bis in die Wohnstuben hinein, in denen wegen des Fernsehens die Bertelsmann-Gesamt-Goethe-Ausgabe zwar vorhanden, aber noch nicht durchgearbeitet war. Gestern Morgen habe ich im Schaufenster eines Reisebüros die Aufforderung gelesen: Reisen Sie mit uns in das Land der Rosamunde Pilcher. Meine Frau Ruth hat mir dann gesagt, dass eine solche Reise nach Cornwall ginge (ich hatte auf Irland getippt) und ich habe es zunächst nicht geglaubt, weil ich Rosamunde Pilcher noch nicht gesehen habe. Ich muss sonntags immer Tatort schauen und anschließend vielleicht ein bisschen Sabine Christiansen, aber wenn ich die Letztgenannte sehe, vermisse ich meine Tante Klara doch sehr.

Was mir bisher fehlte, war eine Fernsehserie, mit der ich mich identifizieren kann. Meine Frau hat Emergency Room, meine Töchter hatten zunächst die Simpsons, dann Sex in the City, dann Desperate Housewives, irgendwann hatten die Sopranos gute Chancen bei mir, vor allem wegen der authentischen Psychotherapeutin. Ansonsten musste ich mir einige Seifenopern im Vorabendprogramm anschauen, um bei meinen heranwachsenden Klienten mitreden zu können. So war ich in Therapiesitzungen nach einiger Übung in der Lage, aufgrund der verbalen und nonverbalen Kommunikation relativ genaue Vorhersagen treffen zu können, wer die medialen Modelle waren, obwohl es dann doch zunehmend schwerer wurde, an den Gefühlsausbrüchen US-amerikanische von deutschen Protagonisten zu unterscheiden. Und da war noch dieses Vorbild an Magersucht, die Vorläuferin der „Pro-Ana“- Bewegung, wie hieß sie noch, die Workaholic-Anwältin, richtig Anny McBeal...

Nun aber bin ich fündig geworden. Montag abends schaue ich mir den „Winzerkönig“ an und ich werde zunehmend das Gefühl nicht los, dass das Autorenteam vor der Konzeption der Serie bei meiner Frau oder einer meiner Töchter (vielleicht bei der, die Drehbücher schreibt und Filme macht) nachgefragt hat, was ich denn so für Probleme als Quereinsteiger mit meinem Weinberg in Südfrankreich habe. Natürlich übertreiben die Macher dann gehörig: 12 Hektar ist schon eine ganze Menge Anbaufläche und so hin und her gerissen zwischen verschiedenen Frauen bin ich auch nicht. Ich habe auch häufig Probleme, blind österreichischen Zweigelt („Kirsche, Weichsel, ein paar Holztöne“) zu erkennen und dann auch noch zu schätzen. Eigentlich bin ich froh, dass man die ganze Geschichte dann doch nach Rust an den Neusiedler See verlegt hat (das ist da, wo vor Jahren nicht die Blindverkoster sondern die Labors Glykol identifiziert hatten. Aber jetzt ist es wie beim Radsport, alles sauber, beziehungsweise man bemüht sich, ein paar schwarze Schafe mag es immer noch geben).

Also warum ich froh bin, dass die Serie in Österreich spielt? Sonst kämen die Touristen ja zu meinem Weinberg und würden vor lauter Begeisterung meine Jungreben platt trampeln. Nicht auszudenken, wenn ich in dem besagten Reisebüro lesen müsste: Besuchen Sie das Land des Winzerkönigs Karl ... Um es noch einmal zu erwähnen, der Winzer Thomas Stickler war im früheren Leben schon einmal Bergdoktor und eigentlich ist er Schauspieler und raucht Zigaretten und will in echt eigentlich keinen Wein machen, weil, er hat den von Gerhard Depardieu probiert „Schon mal ein Grund, es nicht zu versuchen“. Aber Herr Krassnitzer, der Herr Depardieu hat bei mir in der Nähe nun auch Weinberge gekauft und mir schmeckt der Wein - aber ich rauche auch nicht bei der Verkostung. Außerdem, und jetzt bricht das Weitgereiste bei mir durch: Neulich habe ich meiner Tochter, also der, die Filme macht, eine Flasche Merlot von Francis Ford Coppola mitgebracht, da gekauft, wo er einen Teil des Drehbuchs zu Apocalypse now verfasst hat. Und in diesem Film ging es erstens noch chaotischer zu als in ihrem Weingut, Herr Stickler, und zweitens war der Wein hervorragend. Also bitte enttäuschen Sie mich nicht, wo ich doch jetzt Fan von der Serie werden möchte und wo die Touristen schon nach Rust kommen und nach Ihnen fragen und nicht verstehen können, dass ein Mensch, der so fies ist wie ihr Widersacher, also ihr Schwager, der Bürgermeister, einen grundehrlichen Sauvignon blanc herstellen kann: „Naa, wer so an Wein macht, kann kein schlechter Mensch sein“. Also meine Tante Klara hat sich früher so ähnlich geäußert. Aber weil sie sich später eher an Klosterfrau- Melissengeist als an Wein gehalten hat, bezog sie ihre Lebensweisheit auch mehr auf die geistigeren Genüsse: „Wer so schön Musik macht, kann kein schlechter Mensch sein.“ Und so führt sie uns zu der Erkenntnis, dass wahrscheinlich nirgendwo auf der Welt ein Mensch ein schlechter Mensch ist, wenn er nur irgendetwas schön, gut oder überhaupt macht.

Womit wir beim Thema wären: Es gilt einen Forscher zu feiern, der durch seine Erfindung auf hervorragende Weise deutlich gemacht hat, wie triviale Maschinen die nicht ganz so trivialen Systeme, wie den Menschen in einem ständigen Transaktionsprozess perturbieren und zu strukturdeterminierten Veränderungen führen können.

Hand aufs Herz. Wer weiß schon, wann die Fernbedienung erfunden wurde? Und von wem?

Der Forscher, an den erinnert werden soll, Nicola Tesla, wurde vor genau 150 Jahren im heutigen Kroatien, damals Österreich-Ungarn geboren. Die Fernbedienung präsentierte er 1898 in New York, indem er ein batteriegetriebenes Boot fernsteuerte und den ungläubigen Zuschauern auch gleich erklärte, dass die Fernsteuerung mit Hilfe von Strahlen funktioniere, die sich „in graden Linien ausbreiteten.“ „Alles Schwindel“ sagten damals die Zuschauer und suchten mit langen Stangen im Wasser nach verborgenen Drahtverbindungen. Heute befällt kaum noch jemanden der Schwindel, wenn er die grandiose Strukturkoppelung in der Entwicklung seiner Sehgewohnheiten rekapituliert. Noch ein Österreicher (!), Robert Adler hat dann vor 50 Jahren die endgültigen Voraussetzungen für das Zappen als Grundlage unserer Konstruktion von Wohnzimmerwelt geschaffen. Die Werbebranche hat sich darauf eingestellt und die Sendeformate und Schnittfolgen ändern lassen, ein grandioses Beobachtungsfeld transaktionaler strukturdeminierter Veränderungen, sehr zum Leidwesen vieler Pädagogen und anderer professioneller Kulturpessimisten, die von Fast-Food-TV sprechen, sehr zur Freude der Pharmaindustrie und anderer professioneller Kulturoptimisten und der Nachhilfe-Institute und natürlich auch von mir, der ja so die Voraussetzungen vorfindet, an dieser Stelle seine Clip-Art- Assoziationen anzubieten. Und was lässt sich alles sonst noch zur Fernbedienung sagen:


Für den ungarischen Kulturwissenschaftler J. Tillmann ist sie, besonders in ihren schlankeren Varianten, direkt mit dem „Faustkeil und dem Zauberstab verwandt“ Er nennt sie das „Zepter der Neuzeit,“ denn „Mit einer Fernbedienung in der Hand kann sich jeder Mensch auf dem Gipfel seiner Macht fühlen. Auf ein Winken seines elektronischen Zepters können Welten vergehen und wieder auferstehen.“ (Vielleicht können sich ja die Psychoanalytiker unter uns diesmal mit zusätzlichen Deutungsangeboten zurückhalten –zur Erinnerung: Adler hieß der Wegbereiter des Zepters und er nannte es „Space Command“!). Und so schließt sich der Kreis, denn spätestens hier würde meine Kollegin Angela wieder sagen: „Warum erzählst Du mir das eigentlich alles?“ Nun, seit der gestrigen Sendung ist mir klar, dass der Winzerkönig dringend Hilfe braucht, sein Schwager spinnt schon wieder Intrigen, er ist sich über seine Gefühle der Claudia gegenüber wohl noch nicht im Klaren (es ist ja auch erst die dritte Folge) und da der Pfarrer Knopf nicht dem fiesen Schwager ins Gewissen redet sondern der Kellnerin Elisabeth hinterher steigt, muss was passieren.

Lieber Thomas, ich darf dich doch, so von Quereinsteiger zu Quereinsteiger, duzen. Mach es wie Peter Sellers in Welcome Mr. Chance, nimm eine Fernbedienung und zapp das Übel und das Böse einfach weg. Mit der Ernte wird es dann schon klappen, weil sicher zahlreiche Fernsehtouristen Dir (ab heute darf ich das wieder groß schreiben!) bei der Weinlese helfen wollen. Ich kann leider nicht dabei sein, weil ich muss selber... und ich glaube, selbst meine besten Freunde haben zur Erntezeit in Banyuls dringende andere Dinge zu erledigen. Ich sehe für Dich aber noch eine andere Möglichkeit: Bitte sprich doch mal mit dem Regisseur, ob er nicht die Anwältin, -ich hab mir den Namen gar nicht erst gemerkt, sie erinnert mich in manchem an die oben erwähnte McBeal - mit der Du Dich trotz Deiner Zuneigung zu Claudia (da solltest Du mir und Dir nichts vormachen) in der nächsten Folge zum Abendessen verabredet hast, durch eine Psychotherapeutin ersetzt (so wie bei den Sopranos). Eine mit Wiener Dialekt, die muss ja nicht auch gleich Adler heißen, die sich dann mal in Ruhe mit deinem Schwager - also dem mit dem Bürgermeister-Zepter - unterhält. Ich glaube, obwohl ich seinen Sauvignon blanc noch nicht probiert habe, er ist im Grunde seines Herzens kein schlechter Mensch. Es sei denn, es wäre tatsächlich sein Riesling, der nach Pfirsich schmeckt und nicht der Sauvignon, wie Dir die Claudia gestern bei der Blindverkostung weismachen wollte. Aber lass Dir gesagt sein: Was sich liebt, das neckt sich und Weinbau ist kein Kindergeburtstag. Das stammt nun nicht von meiner Tante Klara sondern von Euren Drehbuchautoren. Was Tante Klara gesagt hätte? Die wäre etwas später, so etwa zur Sendezeit von Sabine Christiansen, vor laufendem Fernsehapparat wieder aufgewacht und hätte gesagt: „Es ist eine Zumutung, was die uns heute wieder vorsetzen.“ Aber damals gab es auch nur ein Programm und das war schwarz-weiß und wenn man aufwachte, gab es ein Testbild oder Schneegestöber. Und wenn ich all das damals schon geahnt hätte, würde ich gesagt haben: „So in 20-30 Jahren wird es Fernsehbilder in Farbe geben und über 50 Programme und eine drahtlose Fernbedienung. Und dann kannst Du Dir aussuchen, was Du sehen willst und wenn Du aufwachst, wird vielleicht gerade der Programmpunkt wiederholt, bei dem Du eingeschlafen bist und dann wird es Biologen und Kognitionswissenschaftler geben, die sich mit Autopoiese und Strukturkopplung und Perturbationen beschäftigen und einer von ihnen wird sagen: Intelligenz ist die Fähigkeit, in eine mit anderen geteilte Welt einzutreten“. Und Tante Klara würde mich irritiert anschauen (genau so wie gestern Deine Mutter, Thomas, als sie erfuhr, dass die Kellnerin, also die, hinter der der Herr Pfarrer her ist, bereits verheiratet ist) und fragen: „Und für diese Intelligenz brauche ich eine Fernbedienung und mehr als ein Programm?“


Wird es mir gelingen, morgen nun endlich übers Wetter zu schreiben? Und auch ein bisschen kürzer? Oder noch einmal über Herrn Tesla? Oder über ganz etwas anderes? Wie wird der Leser darauf reagieren? Morgen ab 9 Uhr hier an dieser Stelle