Die Welt mit drei

Gestern auf der Geburtstagsfeier unserer Patentochter. Sie war drei Jahre alt geworden. Irgendwann gegen Abend fragte sie mich unvermittelt: „Ist Dirk Dein Vater?“

Zur Information: Dirk ist mein Ehemann und Lottchen kennt uns beide seit ihrer Geburt in unveränderter Konstellation. Entsprechend war ich von dieser Frage ein wenig überrascht.


Was sieht sie, wenn sie uns zusammen sieht, was sie an ihr Vater-Tochter Bild erinnert? Nach kurzem Nachsinnen finde ich ein paar Ähnlichkeiten verblüffend – zumindest, wenn ich ganz unbedarft an die Sache herangehe. Sie bekommt Aufmerksamkeit und Zärtlichkeiten von ihrem Vater – so wie ich von Dirk, das kann sie an uns oft beobachten. Sie erwartet ihren Vater abends, wenn er von der Arbeit kommt – sie sieht mich öfter abends schon zu Hause und auf Dirk wartend, das weiß sie, weil sie mich oft gezielt nach ihm fragt. Dann kommt noch dazu: Sie ist eine Tochter, auf jeden Fall keine Mutter. Sie weiß: Ich bin auf jeden Fall keine Mutter, dann bin ich wohl eine Tochter? Sie ist täglich in der Mehrzahl umgeben von Mütter, Vätern Töchtern und Söhnen; andere Rollenkonzepte hat sie möglicherweise noch nicht klar differenziert.


Dass sie mich danach fragt ist wohl ein Hinweis darauf, dass sie diesbezüglich gerade ihren Horizont erweitern möchte.


Ich habe ihr auf die Frage geantwortet, dass Dirk nicht mein Vater, sondern mein Mann sei. Sie schwieg, schaute aber immer noch ein wenig fragend. Ich fragte zurück, ob sie denn den Unterschied zwischen Vater und Mann kenne. Sie sagte ohne zu zögern: „Ja.“

Hm.

Irgendwie traute ich dieser Antwort nicht. Sie kam mir ein wenig zu automatisch-brav-zustimmend. Also suchte ich nach einer weiteren Frage, um mehr über ihre Unterschiede zwischen Vätern und Ehemännern herauszufinden, als sie auch schon wieder verschwand - und dann war eh Aufbruchstimmung.


Ich werde sie unbedingt noch mal fragen. Es ist ein faszinierender Einblick in die Welt aus einer kindlichen Perspektive und die darin möglichen und naheliegenden Konstruktionen. Mit drei sind sie schon voll im mentalen Konstruktionsgeschäft! Die Welt ist längst nicht mehr nur ein Dasein aus Wohlbehagen oder Missstimmung, die einem mehr oder weniger auf Kommando und in vertrauter Gestalt aus der Missstimmung ins Wohlbehagen verhilft. Die Welt ist jetzt ein Ort voller wunderlicher Dinge mit Eigenleben, die eine Erklärung verlangen. DAS kann ich sehr gut nachvollziehen...