Die innere Aussöhnung mit den Eltern - eine Lebensaufgabe?

Aufstellen schlaucht. Am 5. Tag der Weiterbildung merke ich allmählich Kopfbrummen. Wir alle zusammen in einem Prozess sind, der in die eigene Tiefen führt.

Mein Bild bei Aufstellungen ist es, dass wir dabei vielen unterschiedlichen Schichten in uns begegnen. Ursprünglich war die Idee von Bert Hellinger, der diese Arbeit begründete, eine andere: „Eine Aufstellung im Leben ist genug.“ Zu dieser Zeit war die Hauptaufgabe bei Aufstellungen, ausgeschlossene oder frühverstorbene Familienmitglieder wieder in die Familie zu bringen und das Bild der Ordnung zwischen Kindern und Eltern zu zeigen. Das bracht oft eine große Erleichterung. Denn wer in seinem Inneren ein chaotisches Bild seiner Familie herumträgt, den stärkt das Bild der Ordnung. Wozu dann noch eine weitere Aufstellung?!


Solche Bilder entfalteten oft lange gute Wirkung – und dann tauchten doch weitere Spannungen auf. Da war jemand in Frieden mit seinen Eltern gekommen - aber irgendwann zeigte es sich, dass aus der Tiefe wieder neue (oder besser alte) Verletzungen, Wunden und auch Verbindungen aufbrachen. Es wäre ja auch ein Wunder, wenn eine einmalige Aufstellung von vielleicht einer halben Stunde Jahrzehnte eigener Erfahrung und die Verbindung mit mehreren Generationen, mit Krieg, Leid, Schuld und Konflikten ungeschehen machen würde!


Die innere Aussöhnung mit den Eltern ist eher eine Lebensaufgabe als ein einmaliger Akt. Da geht es Schicht um Schicht in die Tiefe. Vielleicht ist hier überhaupt die erste und ursprüngliche Erfahrung von “Opfer-sein“. Denn niemand ist hilfloser und ausgelieferter als das neugeborene Kind. Wenn auch das „Trauma der Geburt“ tief in uns vergraben ist, so zeigt es sich doch, dass diese ersten Erfahrungen prägend Wirkungen haben können.


Aber die Verbindungen zu den Eltern gehen weit über solche Erfahrungen hinaus. Dass z. B. mein Vater als Soldat in Russland war, erlebe ich (als Nachkriegskind) heute als persönliches Thema in manchen Zusammenhängen. Da schlage ich mich schon mein Leben lang mit dem Chaos in meinem Arbeitszimmer herum. Ich träume von Luft, Weite und Klarheit – und erzeuge wie zwanghaft massives Durcheinander.

In einer Übungsgruppe spreche ich dieses quälende Thema einmal mehr an. Zur Beschreibung benutze ich das Wort „Schlachtfeld“. Und da blitzen Bilder vom Krieg auf. Ich sehe meinen Vater im Russland, und eine Einsicht keimt auf: Bin ich nicht seinem damaligen Leid und seiner Not durch mein Chaos ein kleines Stück weit treu? Dieses „Schlachtfeld“ verbindet mich mit ihm. Seitdem kämpfe ich nicht mehr gegen das Chaos, sondern schaue es freundlicher an.