Die Geschichte zum Sonntag -  oder wie glücklich macht zuviel Arbeit?

Nach ca. 20 Jahren ist sie mir mal wieder begegnet, die "Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral" von Heinrich Böll! Ich glaube, sie stand in meinem Deutschbuch der 6. Jahrgangsstufe, als ich noch Schülerin war. Damals las ich sie zum ersten Mal.


Kurze Nacherzählung: Ein Fischer sitzt am Meer, zufrieden mit sich und der Welt, weil er heut schon draußen auf dem Meer war und einen guten Fang gemacht hat.

Ein Tourist versucht ihm schmackhaft zu machen, wie lohnend es sei, zwei, drei, viermal hinauszufahren, um ganz viel Geld zu verdienen und zu expandieren.

Zu guter Letzt versucht er ihn zu ködern: "...dann könnten Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen - und auf das herrliche Meer blicken." "Aber das tue ich ja schon jetzt" sagte der Fischer, "ich setze beruhigt am Hafen und döse..." (Böll 1963)


IDch erinnere mich genau: schon damals hat sie mich sehr beeindruckt, diese Geschichte - und ich vermute bis heute meine Einstellung zur Arbeit geprägt. Es hat noch nie zu meinen erklärten Lebenszielen gehört, viel Geld zu verdienen. (Natürlich freue ich mich dennoch, wenn ich Geld habe!)

Möglicherweise war auch das einer der Gründe, weshalb ich Sozialarbeit studierte.


Macht Arbeit mich glücklich? Durchaus kenne ich vielfältige Flow-Erfahrungen in Therapie-, Supervisions- und Seminarkontexten. Meine Freiberuflichkeit bietet so unterschiedliche, bereichernde Möglichkeiten, mich auszuprobieren und zu verwirklichen. Meine Tätigkeit als Angestellte.


Dennoch stehe ich, wie die meisten Menschen, die ich kenne, ständig in der Gefahr, zuviel zu arbeiten. Aus Sorge um meine Existenzsicherung? Aus falsch verstandenem Verantwortungsgefühl? Sicher jedenfalls nicht nur, weil ich dauernd, diese Flow-Erfahrung genieße.


Mir ist durchaus, intellektuell und emotional, bewußt, wie wichtig mir eine gute Balance ist zwischen Arbeit und Freizeit. Wobei ich unter letzterem sicher nicht den typischen Freizeitstreß verstehe, der bei manchen Menschen, nur "Arbeit mit anderen Mitteln" ist.

Ich spreche von Freizeit, als Auszeit, als "unverplant in den Tag hinein leben", und verbinde damit ein intensives Gefühl, des "in der Gegenward sein".


Viel zu oft komme ich nur schwer wieder herunter von meinem schnellen Tempo, wenn ich zu lange keine richtigen Auszeiten mehr genommen habe:

Täglich mindestens zwei Stunden ganz für mich allein; völlig freie, unverplante Tage - oder gar Wochenenden an denen ich mal wieder einen 400 seitigen Roman fast am Stück durchlesen kann.


Solche Geschichten wie die von Böll erinnern mich auf eine humorvolle Art daran, dass es für mich viel Wichtigeres gibt, als ständig beschäftigt zu sein und der Uhrzeit hinterher zu rennen. Ein guter Abschluss für den Sonntag der Kehrwoche! Ich danke allen LeserInnen herzlich!


Daniela Beer


P. S. Wen es interessiert, wie sich die Bewältigung der Situation mit meiner Oma gestaltet? Da ich im Laufe dieser Woche alles getan habe, was in meinem Einflußbereich steht - gelingt es mir gerade - immer wieder zwischendurch - das soviel zitierte "Loslassen".

Morgen kann schon wieder alles ganz anders sein. Mir dies erlauben zu dürfen - auch das ist für mich Glück.


P.P.S. Jetzt habe ich doch noch meine Beiträge zur Kehrwoche vom letzten Jahr gelesen! Manche Themen scheinen nicht an Bedeutung zu verlieren: z. B. das Thema Zeitgestaltung oder auch die Handy-Frage... Nun, denn...