Die Gemeinde

Heute war ich in einem eher armen Viertel Palermos in der Kirche (selbstverständlich katholisch). Da ich eine katholische Erziehung genossen habe, wusste ich, wann man sich zu bekreuzigen hatte, zu knien usw. ...


Trotz all meines Vorwissens war einiges neu für mich. Zum ersten entsprach die Musik viel eher meinen Vorstellungen italienischer Canzone als irgendwelcher deutscher kirchlicher Leiergesänge. Da die Kirche voll (!) war, viele Besucher der Messe stehen mussten, und obendrein noch ein kompetenter Chor den Ton angab, entwickelte sich fast das Gefühl, an einem Musical teilzunehmen. Das alles hatte Pep. Nicht die sonntägliche Ödnis, die ich aus meiner Kindheit kenne.


Dann durfte die Gemeinde bzw. einzelne Gemeindemitglieder auch noch Sonderwünsche äußern und um Unterstützung für persönliche Anliegen durch das gemeinschaftliche Gebet bitten. Eine Frau wollte, dass für ihren kleinen Bruder gebetet wird (warum habe ich nicht richtig verstanden), eine Lehrerin wollte Hilfe für ihre schwierigen Schüler und erbat Unterstützung des Heiligen Geistes für ihre Langmut, jemand wollte für den Frieden in der Welt, speziell Afghanistan, beten lassen usw.


Nach der Wandlung haben alle sich an der Hand gefasst (das kannte ich schon aus Neapel) und sich anschließend die Hand geschüttelt (ebenfalls in Neapel üblich).


Am Ende der Messe gab es noch – ganz profan – Veranstaltungsankündigungen. Nicht nur für die nächste Messe und irgendwelche kirchlichen Happenings, sondern auch für andere Ereignisse, die für die Gemeindemitglieder interessant sein könnten.


Ich gestehe, dass ich kein großer Fan der katholischen Kirche bin, aber heute konnte ich wieder einmal erleben, wozu solche „Massen“- (s. Elias Canetti: „Masse und Macht“) Veranstaltungen gut sind: Sie geben dem Einzelnen den Trost, nicht allein zu sein. Er kann sich als Teil eines größeren Ganzen fühlen. Narzisstische Auflösung von individuellen Grenzen...


Das hat etwas, was man wahrscheinlich nicht nur in der katholische Kirche erleben kann, sondern auch im Fanblock von Borussia Dortmund... Durchaus attraktiv.