Die Fülle des Lebens

Lieber Herr Liebscht,


Ich persönlich habe momentan nicht Zeit noch Lust auf das Kehren, noch auf das Kehren des Kehrens des Kehrens. Doch möchte ich Ihnen für Ihren Beitrag heute danken und dafür Ihrem Lebensmut ordentlich auf die Sprünge helfen. O.K.?


Fahren Sie unbedingt mit dem 450, 00.- EURO Boot mit Ihrer Familie zur Eisvogelfamilie – ich war demagogisch hinsichtlich unseres ausufernden Konsumzwanges. Aber das, was man für die Erfahrung der Wunder des Lebens, wie sie sich jetzt zeigen, benötigt, braucht man eben. Was die Gefahren betrifft ist Feuermachen ist das billigere Vergnügen, Bootfahren das nässere.


Sie haben JETZT das bestmögliche Leben inklusive Familie und können es – nur wenn Sie Lust haben – Schritt für Schritt auch noch verbessern.


Sie schreiben von der ganzen unglaublichen Fülle Ihrer Welt und schreiben davon so melancholisch, als ob irgend etwas verloren gegangen sei, das ein besseres Leben ermöglicht hätte. Ich weiß so ein Satz klingt komisch angesichts des gesamten Jammertales und des Leides in der Welt und Ihres Dilemmas im Besonderen. Aber was, wen wir je selbst radikal umdenken?


Nix ist verloren gegangen. Nichts ist schief gelaufen. Sie haben beste Optionen, wenn sie anschlusssicher an den Ihnen gegebenen Möglichkeiten anschließen. Das scheinen Sie ja auch (mit den erlaubten Zweifeln und Unterbrechungen) zu tun.


Spielen Sie Ihre Vaterrolle, Beruf(ung)srolle, Liebhaberrolle, Lieblingsrolle doch ganz ohne Zorn und Reue und Melancholie, und ohne angeblich vergangenen Zeiten nach zu trauern, genau so, wie Ihnen Ihre Rollen vorschweben und deswegen auch zuwachsen.


Lassen Sie sich nicht ins Bockshorn jagen. Weder von der besten aller Lebensabschnittsaufseherinnen, noch von der Sie umgebenden Gesellschaft (deren Umwelt Sie darstellen), noch von Ihrem netten, pessimistischen Underdog.


Kabarett mäßig gibt der ja viel her, aber vielleicht gibt es praktischere und produktivere Einstellungen zu der Welt, (die Sie sich übrigens höchst selbst zusammen mit anderen Selbstvariationen konstruieren) als sarkastische?


Vielleicht versuchen Sie es ja mal mit Witz und Ironie ganz ohne Quärulanz! Sie beziehen daraus möglicherweise mehr Inspiration, angenehmere Vibes und hellere Tage. Eine kleine Depression hier und da ist vorgesehen, damit Sie den Unterschied spüren, der den Unterschied macht. Ok Sie sind so wie Sie sind:


Heizen Sie Ihren netten Klienten oder Ihrere Lebensabschnittgefährtin doch öfter mal ordentlich ein, nehmen Sie also die Menschen ernst, die von Ihnen ja Antworten erwarten! Werfen sie die auch mal auf sich selbst zurück, auch auf die Gefahr hin, dass die dann nicht mehr kommen, beziehungsweise nicht mehr zu kommen brauchen. Verweigern Sie deren Spiel zu spielen, spielen Sie Ihr Spiel. Sie spielen es a sowieso.


Als radikale Konstruktivistin, versehen mit überaus praktischem Lebensmut, sehe ich die Möglichkeiten, an die von mir produktiv angeschlossen werden kann. Deswegen bevorzuge ich die Anschauung der Welt als meiner (=unserer=) Konstruktion. Sie gibt mir das Gefühl an der Welt, wie sie ist, mitbeteiligt zu sein, aktiv zu sein, für sie verantwortlich zu sein. Der Vergleich mit anderen Weltanschauungen gibt mir unbedingt Recht.


Statt meine Ressourcen im Mich-Be-Klagen über die Zustände der Welt (die ich zusammen mit anderen konstruiere) zu verschwenden, erfreue ich mich des Lebens, das ich – so sehe ich es - freiwillig angenommen habe. Ich beharre auf seiner Produktivität. Aha. Das habe ich produziert? O.K. Ich ändere MEINEN Zustand, um den Zustand der Welt zu ändern. Ich rede darüber und nicht über anderes. Ich rede darüber, wie wir die Welt zu dem machen, was sie jetzt ist. Ich muss nicht über Musik reden. Einige Menschen mach(t)en Musik. Ich genieße ihre Musik.


Die von Ihnen oben beklagte angebliche Autoritätshörigkeit meinerseits (Sie meinen wohl, dass ich Herrn Simons triviale Kehrthemen nicht bissig kommentiere, die übrigens gar nicht so trivial sind, wie man am gruppendynamischen Tiefgang bei den Tomaten und Keksen und Ähnlichem gut erkennen konnte) würde ich als Gleichmut gegenüber der Redundanz des Lebens bezeichnen. (Ich anerkenne (von mir möglichst geprüfte) Lebens-, Sach- und Fachautorität. Die endet jedoch dort, wo meine beginnt. Wen sie sich auh noch mit meiner verbinden läßt, gut, wenn nicht, auch gut.))


Das Leben besteht vorwiegend aus Trivialitäten. Diese wert zu schätzen ist große Weisheit. Eine Weisheit, die ja auch Sie auf Ihre Art und Weise praktizieren. Dass Sie dabei noch unausweichliche Zwänge entdecken, kann nur soviel bedeuten, dass Sie diese für sich selbst außer Kraft setzen oder sie zu Ihren Komplizen machen.


Aber es geht auch noch um Wiederentdeckungen und glückliche Inspirationen und Erinnerungen: nämlich was noch alles möglich ist, um den Reichtum der Welt zu vergrößern oder (wieder) sichtbar zu machen. Ich sehe da u.a. die Ressourcen von Familie, Ästhetik der Geschlechter, Beruf und Berufung, Liebe zur Arbeit, zu Kindern, zu Konflikten, zu Büchern über Konflikte, zu Büchern über Tabus, von der Liebe zur Musik, zur Kunst, zur Bewegung, zum Abenteuer, zum Kochen, den Katzen, Pflanzen, Blumen, Tieren, Wind und Wetter und so weiter und so fort.


Ich persönlich finde Sie sind auf einem Weg der Weisheit, wenn Sie sagen:


„Wenn man tut, was man kann, braucht man nichts zu bedauern. In diesem Sinne liebe Grüße!“

In diesem Sinn auch liebe und beste Grüße!