Der moderne Staat

Heute war ich bei einer Konferenz, die sich mit Fragen der Verwaltung im Zeitalter der Digitalisierung beschäftigte. Sie wurde veranstaltet von der Zeitschrift dms ("Der moderne Staat"), einer Fachzeitschrift, die jetzt 10 Jahre existiert (und zu deren wissenschaftlichem Beirat ich gehöre). Die Tagung galt auch der Ehrung des Gründers dieser Zeitschrift, Prof. Dr. Bernhard Blanke, der dieses Jubiläum seiner Zeitschrift leider nicht mehr miterleben durfte.


Das Konzept der Tagung war, immer einen Verwaltungspraktiker und einen Forscher zusammenzuspannen (unter den Praktikern fanden sich z.B. ein Staatsekretät, der Vorsitzende des Beamtenbundes, der Präsident des Landessozialamt Rheinland-Pfalz...), die jeweils einen Impulsvortrag hielten und anschließend im und mit dem Plenum zu diskutierten. Es gab mehrere höchst interessante und erhellende Vorträge (zum Beispiel wußte ich nicht, dass es in der Schweiz keine Beamten gibt, was eine Erklärung für die besser funktionierende Verwaltung dort sein könnte, weil es nicht mehr Laufbahnfragen, Dienstalter u.Ä. sind, die über Karriere und Bezahlung entscheiden, sondern die aktuell nötigen Kompenzen (die in Zeiten der Digitalisierung nicht unbedingt denen entsprechen, die in der Beamtenausbildung zentral sind).


Für mich war der Part, wo es um die Bewältigung der Flüchtlingskrise 2015 ging, sm spannendsten. Der Refernt, Detlef Placzek, damals noch Vizepräsident des "Landesamtes für Soziales (...)" in Rheinlandpfalz, wurde - ohne gefragt zu werden - vollkommen überraschend und unvorbereitet mit der Aufgabe betraut, die Flüchtlinge unterzubringen. Am Samstagabend um 23 Uhr 45 erhielt er dann den Anruf, in fünf Stunden würden 300 Flüchtlinge aus Bayern angeliefert. Zu dem Zeitpunkt musste er feststellen, dass es - außer ihm jetzt - niemanden im Land gab, der für solche Fragen zuständig war, Unerkünfte kannte usw.


Da er jeden Tag an einem leer stehenden, ehemaligen Feuerwehrgebäude in Mainz vorbei fuhr, rief er den Bürgermeister an und erklärte ihm, dass er das Gebäude nutzen wolle. Der sagte, das gehe nicht, versprach aber eine andere Unterkunft (eine Turnhalle) usw. Das Prinzip war: Immer erst handeln, und dann erst schauen, wie man das alles finanzieren könnte, und es war die Nutzung persönlicher Beziehungen und persönlichen Engagements.


Im Laufe der Wochen entwickelten er und seine Mitarbeiter Verfahrensweisen, die nicht nur die Unterbringung der Ankommenden sicher stellten, sondern auch ihre Registrierung und sonstige Versorgung. Es gab, anders als es in den Zeitungen stand, schlicht kein Chaos - zumindest nicht in Rheinland-Pfalz.


Dass das gelang, lag u.a. daran, dass die Regierung ihm und seinen Leuten die Entscheidungsfreiheit überließ, d.h. darauf vertraute, dass sie keinen Mist machen, sondern das Problem bewältigen würden (im Unterschied zur Behandlung des LaGeSo in Berlin, wo die politischen Instanzen sich in alles eingemischt haben). Der zweite Erfolgsfaktor war die sogenannte Zivilgesellschaft: das Rote Kreuz, das THW usw., alle möglichen NGO's und Privatpersonen, die aktiv in der Bewältigung der Krise waren...


Alles in allem, hat mich dieser Vortrag ziemlich optimistisch nach Hause fahren lassen, was die Problemlösefähigkeiten unserer staatlichen Institutionen betrifft.


Wichtig fand ich zu dem Thema noch einen Vortrag, in dem harte Daten präsentiert wurden: So wurden in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ca. 80% der Flüchtlinge in Massenunterkünften untergebracht, was nicht integrationsfördernd wirkt. In anderen Bundesländern, z.B. in Hamburg, wurden hingegen ca. 90% dezentral untergebracht. Auch die Abschieberaten sind von Bundesland zu Bundesland sehr verschieden. Die Unterschiede betragen teilweise 45% - und das liegt nicht an der Herkunft der jeweiligen Flüchtlinge. Auch die Anerkennungsrate als Asylanten hängt vom Bundesland ab: Wie es ein mit der Materie vertrauter Wissenschaftlicher formulierte: "Es ist ein Postleitzahlenlotto!"