Der Körper als Supervisor

Sabine Mehne


Für Physiotherapeuten ist Supervision lange ein Fremdwort gewesen und es ist auch heute nicht unbedingt üblich, diese als normalen Teil beruflichen Selbstverständnisses zu sehen. Davon abgesehen tragen die wirtschaftlichen Engpässe, die unsere Berufsgruppe stark beeinflussen, dazu bei, nicht mehr als unbedingt nötig für die Arbeit zu investieren. Wie wir erfahren haben, ist das finanzielle Polster auch in anderen Berufen nicht mehr so dick, wie es mal war.


Wir überlegten, welche Ressourcen sich sonst noch anbieten könnten, um hier Abhilfe zu schaffen, und wir kamen auf unseren Körper. Schließlich haben wir ihn immer dabei. Abgesehen von einer guten Pflege, die ihr Geld wert sein sollte und somit in die Grundausgaben schon eingerechnet wird, ist diese Form der Supervision im Verhältnis kostengünstig. Nach dem Motto: wir können nicht nicht fühlen und die eigene Neutralität hat in Alltags- oder Ausnahmesituationen ihre Grenzen, spiegelt unser Körper jederzeit auf der nonverbalen Ebene, was als blinder Fleck ausgeblendet wird oder als Realität sichtbar ist. Anhand der Mimik, der allgemeinen Körperhaltung, der Stimmlage, der Atmung oder auch der Handhaltung lassen sich schnell Aussagen über eine Situation oder Gefühlslage treffen. Manchmal ist unser Körper auch so nett und verspannt bestimmte Muskelgruppen solange, bis wir einen Schmerz fühlen und die Aufmerksamkeit erhöhen.

Bei genauer Betrachtung auf der Metaebene merken wir dann, dass wir lange genug gebuckelt haben oder den Kopf eingezogen haben und es an der Zeit ist zu überlegen, ob eine Änderung der Blickrichtung/Kopfhaltung oder ein Gespräch darüber nicht ein erster Schritt in eine gewünschte neue (schmerzfreie) Richtung wäre. Als gut hat es sich bewährt, nicht gleich die entsprechenden Teile des jeweiligen Systems mit einer abrupten Gegenbewegung oder einem Gespräch zu konfrontieren (ab morgen halte ich den Kopf so, dass ich nicht mehr hinschauen muss oder morgen sage ich meinem Chef endlich Bescheid), sondern mit dem Körper zu schwätzen, wie man bei uns in Hessen sagt. Innere Dialoge sind Supervision und tragen dazu bei, Widerstände in Systemen, die sich gerne bei Veränderungsprozessen einstellen, so klein wie möglich zu halten.


Zur Gesprächseröffnung empfehlen wir eine nette Wertschätzung und einen Dank an den Körper für seine Bemühungen (konstante Erhöhung der Muskelspannung). „Das ist echt gut, dass du so treu bist und an mir dran bleibst.“

Der nächste Schritt wäre ihn zu bitten, langsam die Spannung herunterzufahren, weil wir jetzt begriffen haben, dass wir etwas ändern sollten. „Körper mach hinne, du kannst jetzt eine Runde entspannen, ich kümmere mich ab sofort eine Weile selbst um meine Baustellen.“


Probleme, die zu leicht gelöst werden, erzeugen den Verdacht nicht ernsthaft genug gewesen zu sein und können unseren Körper als Kooperationspartner schwer enttäuschen. Als beleidigte Leberwurst könnte er zu einem Gegenschlag ausholen und uns statt Muskelverspannung gleich den kompletten Bandscheibenvorfall servieren. Deshalb empfehlen wir als Fachleute für das Körperliche ihn auf der Beraterebene einzusetzen, was er gerne wieder umsonst für uns erledigt. Besprechen Sie des öfteren am Tag mit ihm die Lage, insbesondere aber immer dann, wenn sich leichtes Ziehen in irgendwelchen Muskelpaketen oder Körperteilen andeutet. Einige Patienten haben uns verraten, dass sie ihren Körperteilen eigene Namen gegeben haben.

„Schorsch, hör zu, was hältst du von meiner Idee. Ich reduziere meine Überstunden, lege dafür zweimal pro Woche eine Runde Radfahren im Wald ein und gehe mit Elfriede mal wieder tanzen?“

Da Schorsch eine eigene Sprache spricht, sind alle die Menschen im Vorteil, die auf der Beobachtungsebene hellwach sind. Schorsch spricht zu uns, in dem er uns ruhig und erholt schlafen lässt, uns frei und ohne jede Einschränkung bewegen lässt und bei Extrembewegungen, wie Garten umgraben oder außergewöhnliche Stellungen beim Liebesakt, eine schmerzfreie und lustvolle Mitarbeit garantiert.


Unser Körper und Supervisor ist ein Visionär und liebt Unterhaltungen, die in die Zukunft gerichtet sind. Wir dürfen hier die Hypothese aussprechen, dass unser Körper wahrscheinlich der geborene Systemiker ist, weil er Beulen, die wir ihm zufügen, autopoietisch umwandelt und wir häufig gar nichts davon merken, bzw. ihn daran hindern, immer dann, wenn wir meinen mit dem Kopf durch die Wand zu müssen.

Setzen Sie sich also genauso oft mit ihm zusammen, wie sie ihre Emails abfragen und beantworten und erlauben Sie sich die erfüllenden Fantasien, was wäre wenn.

„Schorsch, wie sieht’s aus mit uns beiden, na sagen wir in zwei Jahren? Meinst du ich halte es aus, wenn du mir keine Schmerzen bereitest?“ Oder „Schorsch, wirst du mir auch in 10 Jahren noch die Treue halten, alle Krebszellen, die sich zwangsläufig bilden mit den Fresszellen niederstrecken und die Faltenbildung auf ein notwendiges Minimum reduzieren?“

Manche bitten ihn sogar ob er gewillt sei auf die Frage „Bis, dass der Tod uns scheidet?“ mit Ja zu antworten und genießen es mit ihm, gemeinsam mit gelegentlichen Zipperleins und einem Spazierstock alt zu werden.