Der König und der 1. Mai

In den letzten Tagen waren im Fernsehen verschiedene Massenveranstaltungen zu bewundern. In den Niederlanden wurde der neue König inthronisiert und von begeisternd jubelnden Menschenmassen gefeiert, und am 1. Mai gab es in den verschiedensten europäischen Ländern Demonstrationen für mehr Gerechtigkeit und Solidarität... Das Farbspektrum der mitgeführten Fahnen reichte von Orange bis Rot.


Die Rolle des Königs in einer parlamentarischen Demokratie scheint mir ein merkwürdig, aber gut funktionierendes Paradox. Man unterwirft sich einem Monarchen, der nichts zu sagen hat, einem Herrscher, der nur repräsentieren darf. Zwei Prinzipien sind hier gleichzeitig verwirklicht. Zum einen schafft Hierarchie unter den "Untertanen" Gleichheit - allerdings nur, wenn der Herrscher nicht umstritten ist (von Gottes Gnaden, sozusagen). Aber er ist nur unumstritten, wenn er nicht versucht zu herrschen. Denn die Macke jedes hierarchischen Systems ist ja, dass sein Funktionieren von der Kompetenz des (immer irgendwie beschränkten) Hierachen abhängt. Das System der Demokratie mit seinen abwählbaren Funktionsträgern bildet hier ein intelligentes Korrektiv.


Bei den Mai-Demonstranten scheint mir die Gleicheit derer, die sich über die bestehenden Verhältnisse empören, leicht zu ähnlich paradoxen, aber mit einem umgekehrten Vorzeichen versehenen Wirkungen zu führen. Denn Massenbewegungen können ja nicht wirklich etwas bewirken (außer vielleicht eine bestehende Regierung in die Wüste zu jagen), wenn es ihnen nicht gelingt, sich zu organisieren, d.h. eine Organisation zu bilden, die konstruktiv Projekte umsetzt und für Veränderung von gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen sorgt. Dies aber ist letztlich nur möglich, wenn - in der Organisation - Hierarchie als Mittel der Koordination einer Vielzahl von Akteuren und Aktionen genutzt wird. Das wiederum ist mit der Gefahr der Diktatur verbunden (siehe "real existierender Sozialismus").


(Wenn ich mir die Äußerungen von Beppe Grillo so anhöre, dann weiss ich wirklich nicht, ob ich mir ihn in einem Regierungsamt oder in der Verantwortung für konkrete politische Maßnahmen wünschen soll.)


"Systemischer Antagonismus", "Dialektik" - wie immer man das nennen mag.