Der ADHS-Skandal

In der Zeitung steht heute eine kleine Nachricht, dass in Deutschland ca. 500 000 Kinder mit der Diagnose ADHS versehen worden seien, und etwa die Hälfte dieser "Zappelphilip"-Kinder würden mit Psychopharmaka behandelt.


Für mich ist das ein politischer Skandal ersten Ranges. Wenn unsere Kinder ein Verhalten zeigen, das nicht kompatibel mit den Anforderungen unserer Schulen ist - denn die Diagnose wird in der Regel erst mit Schuleintritt gestellt -, wäre es bei so großen Zahlen weit plausibler zu fragen, was denn mit der Schule nicht in Ordnung ist, statt das Problem zu individualisieren und die Kids zu pathologisieren. Werden die Kinder zugetoxt, so dass sie ihren Handlungsimpulsen nicht mehr folgen, wird der Betrieb nicht gestört und die Schule kann bleiben, wie sie ist...


Die Ärztekammern fordern nun, dass die Kinder psychotherapiert werden, statt sie mit Ritalin zuzustopfen. Das klingt auf den ersten Blick ja so, als ob es sich um einen Fortschritt handelt. Aber bei genauerer Analyse wird deutlich, dass sich an der zugrunde gelegten Erklärung nichts ändert: das das Problem, dass die Schule mit diesen Kindern bzw. diese Kinder mit der Schule haben, wird in beiden Fällen bei den Kindern verortet (d.h. individualisiert).


Dieser Trend ist nicht nur in der Schule zu beobachten, sondern auch in den Unternehmen. Seit etlichen Jahren erlebt das Coaching ja einen ungeheuren Boom. Auch hier wird nicht reflektiert, was die Organisation mit dem Individuum macht, sondern die Anpassungsforderung wird dem Einzelnen zugeschustert...


Dass in diesem Nicht-Funktionieren von Individuen auch der Hinweis stecken könnte, dass die Organisationen (= Arbeitsbedingungen) sich ändern müssen, wird übersehen.


Schade eigentlich, denn diese Kinder sind ja oft ziemlich kreativ. Eine verschwendete Ressource, wenn sie einfach ruhig gestellt werden...