Depressionsbarometer

Immer, wenn ich wissen will, wie es mir geht, das klicke ich das [Depressionsbarometer](http://www.depressionsbarometer.de/ "Depressionsbarometer") an. Hier werden mir ein paar relevante Fragen gestellt, und dann wird mir mitgeteilt, wie es um meine Gemütslage bestellt ist. Werte zwischen 0 und 39 liegen im Bereich normaler Stimmungsschwankungen, zwischen 40 und 55 legen sie den Verdacht auf Depression nahe, zwischen 56 und 105 deuten sie auf eine schwere, behandlungsbedürftige Depression.


Für Leute wie mich, die ihrem Selbstgefühl nicht recht trauen mögen, ist dieses Instrument ideal. Es objektiviert die Selbstdiagnose. Schließlich ist Sebstbeobachtung nicht nur der erste Schritt zur Hypochondrie, sondern auch zur Besserung.


Ich habe die Installation dieses jedermann zugänglichen Diagnose- und Screeninginstruments unterstützt und gefördert, weil es nicht nur mir, sondern auch anderen ermöglicht, sich bzw. den eigenen Gemütszustand sowohl mit dem des Restes der Nation zu vergleichen, als auch mit dem anderer Vergleichsgruppen.


Mein heutige Wert liegt bei 5. Des ist ein geradezu behandlungsbedürftiger Mangel an Depression. Das ist sogar noch weniger als dies bei durchschnittlichen Medizinstudenten zu finden ist. Und die sind ja bekanntgermaßen ganz kompetente Selbstverleugner.


Was mich beruhigt, ist, dass solch ein Wert bei mir eine absolute Ausnahme darstellt. Denn ich stimme einer von mir sehr geschätzten Psychoanalytikerin zu, für die es keine schlimmeres und abwertenderes Urteil über andere Menschen gibt als: "Der (oder die) ist ja vollkommen depressionsunfähig!"


Dennoch stellt sich mir die Frage, wie das passieren konnte. Was habe ich falsch gemacht, dass ich bei solch einem Wert gelandet bin? Wie kann man das erklären?


Die nahe liegendste Antwort lautet für mich: Es lag am Wetter. Strahlender Sonnenschein, der Sommer scheint sich endlich auf seine Aufgabe zu besinnen und die bislang gepflegte Arbeitsverweigerung einzustellen. Wenn wir im Barometer zurück blicken, so gibt es einige Hinweise auf derartige Zusammenhänge (Kachelmann fragen). Doch das reicht als Erklärung nicht wirklich, da der Gesamtindex all derer, die das Barometer benutzt haben, heute nicht auf Depressionsfreiheit hinweist. Er liegt heute über 23. Das ist ein Wert, der dem von Leuten mit irgendwelchen Gesundheitsproblemen entspricht, die sich krank und unwohl fühlen, obwohl ihre Diagnose nicht wirklich klar ist. Überhaupt bewegt sich da im Durchschnitt bundesweit nicht so viel. Die Stimmung ist festgefahren, und mein Wert von 5 reicht offenbar nicht, um an der Gesamtsituation etwas zu ändern.


Warum sind die Leute so depressiv? Liegt es an der wirtschaflichen Situation? Oder umgekehrt, sorgt die depressive Stimmung für die depressive wirtschaftliche Lage? Oder beides? Oder hängt beides vom Wetter ab? Oder das Wetter von der wirtschaftlichen Lage (dass es jetzt erst Sommer wird, scheint dafür zu sprechen)?


Ich habe vor Beantworten der Barometerfragen zwei Glas Weißwein getrunken. Alkoholbedingter Realitätsverlust, das wäre eine andere Erklärung. Aber schon nach zwei Gläsern? Da bin ich eigentlich mehr gewöhnt - also auch keine angemessene biologische Erklärung.


Und sozial? So toll waren meine Erlebnisse und Erfahrungen heute eigentlich nicht... obwohl: so schlecht auch wieder nicht. Reicht das schon für solche Werte?


Fragen über Fragen. Auch ohne die Anwort auf sie alle zu wissen: Mir hilft das Barometer, mich auf meine Gemütslage einzustellen, um nicht aus Versehen Scherze über meine Situation zu machen oder gar mit Selbstironie auf mich zu schauen, wenn ich eigentlich Fürsorge, Verständnis und bedingungslose Selbst-Liebe brauche.