Das Geheimnis des dritten Balles

Mittlerweile haben mich meine Kundentermine in dieser Woche in die Schweiz verschlagen. Es schneit unablässig und das obwohl ich so überhaupt nicht mehr auf Winter eingestellt bin. Bei all den inneren und äußeren Reisen der letzten Wochen und Monate stellt sich mir in der Situation schon die Frage: „Wo habe ich eigentlich meine stabile Zonen?“. Wie schon am Montag angesprochen, ist privat alles im Umbruch, ich schlafe im Büro, wenn ich nicht gerade in irgendeinem Hotel bin, im Geschäft findet der Wandel vom Ein-Mann-Unternehmen mit Teamassistentin zur Netzwerkgemeinschaft statt und die Projekte sind in einer Phase, in der die Auftraggeber selbst gerade nach dem„Etwas“ suchen, das ihnen in all den Turbulenzen ein bisschen Halt verspricht. Würde man(n) an die Synchronizität der Ereignisse glauben, käme man(n) zu der Überzeugung, dass ich gerade Prozess und Inhalt, Außen wie Innen erlebe. Dabei kommt mir der Gedanken, dass dieses ganze Auf und Ab, dieses Hin und Her von Wert sein könnte. Bekanntlich entsteht der Wert ja am Unterschied.


Und schon George Spencer-Brown schreibt in seinem Büchlein Dieses Spiel geht nur zu zweit: „Nur von der Innenwelt aus können wir die äußere als eine voller unendlicher Vielfalt beliebiger Konstruktionen betrachten. Das Magische und das Wunderbare in der Außenwelt sind natürlich die Erscheinungen eines Grenzwechsels, eines in der Innenwelt entstehenden. oder von dort angeleiteten Mischens der Karten.“ Die Karten werden neu gemischt, in vielerlei Bezügen und Beziehungen. Dass meine Gefühle und Stimmungen sich dabei wellenförmig durch mein Inneres surfen, macht mich zuversichtlich. Es ist sicherlich nicht das erste Mal, dass aus solch einer Situation des Wechselns und Wandelns irgendwann der nächste Schritt (die dritte Position) folgt. Dass mir dabei dieses Gedicht von Rilke geschenkt wird, dürfte auch kein Zufall sein:


Solange du Selbstgeworfenes fängst, ist alles

Geschicklichkeit und lässlicher Gewinn-;

erst wenn du plötzlich Fänger wirst des Balles

den eine ewige Mit-Spielerin

dir zuwarf, deiner Mitte, in genau

gekonntem Schwung, in einem jener Bögen

aus Gottes großem Brücken-Bau:

erst dann ist Fangen-Können ein Vermögen, -

Nicht deines, einer Welt. Und wenn du gar

zurückzuwerfen Kraft und Mut besäßest

nein, wunderbarer: Mut und Kraft vergäßest

und schon geworfen hättest ... (wie das Jahr

die Vögel wirft, die Wandervogelschwärme,

die eine ältre einer jungen Wärme

hinüberschleudert über Meere -) erst

in diesem Wagnis spielst du gültig mit.

Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst

dir ihn nicht mehr. Aus deinen Händen tritt

das Meteor und rast in seine Räume ...


Wie der werte Leser vom Wochenanfang noch in Erinnerung hat, fällt die Schwermut manchmal ein, und um so wertvoller sind die Momente, in denen der „dritte Ball“ ins Spiel kommt. Jener Augenblick, in dem der Ball beim Jonglieren erstmal losgelassen sein Gewicht verliert. Eben noch erdrückend schwer, regelrecht eine Last, kann er

schlagartig diese Schwere verlieren, wenn es gelingt ihn loszulassen. Schaut man anderen dabei zu, wirkt alles ganz leicht, auch schwierigste Kunststücke erscheinen wunderbar schwerelos. Bei mir selbst wiegen sie manchmal wie Blei. Erwartungsdruck und sonderbare Anspruchshaltungen verhindern mehr, als sie begünstigen.

Himmel sei Dank (oder meinen Freunden und Projektpartnern) erscheint ab Wochenmitte vieles sonderbar leicht. Das heißt nicht, dass die Themen und Aufgabenstellungen keine Herausforderungen wären. So ging es gestern noch in einem Pharmakonzern um die Frage von Vertrauen. Als Komplexität durch Instrumente weggedacht wurde, ging das Vertrauen im Management verloren. Und an anderer Stelle fehlte es an der Erfahrung und der Vorstellungskraft wie ein Unternehmen innerhalb von zwanzig Jahren (!) vom Industriezeitalter ins Kommunikationszeitalter transformiert werden könnte.


Heute aber versinkt die Welt im Schnee von Gstaad. Wie ein Weichzeichner legt er sich über die Landschaft, deckt die Landschaft zu und lässt die kantigen Gebirgszüge in fließender Form sich auflösen. Wo gestern das eigene Bild noch nach Kontur und Profil suchte, hat heute das Leben eine Ruhepause eingelegt. Zumindest will es mir so durch das Fenster erscheinen. Innerlich brodelt der Vulkan weiter. So bleibt es in all der Kälte aber wenigstens angenehm aufgeheizt und zum Abschluss für heute fällt mir noch der Spruch ein:


„Wenn das Leichte nicht so leicht wäre,

wäre es nicht so schwer zu erreichen!“