das Freudenhaus

Guten Abend!


Nach einem gut gefüllten Arbeitstag mit einigen aufregenden Therapiesitzungen fragte mein Sohn nach dem Abendessen was ein Puff sei. Meine Frau leitete die Frage zuständigkeitshalber gleich weiter an mich und ich setzte zur Erklärung an mit einem Synonym: "man kann es auch Freudenhaus nennen". Bevor ich weiterreden konnte, lehnte mein Sohn sich zufrieden zurück und meinte: "ach so, so etwas wie eine Kirche..." Ich sah mich genötigt noch weiter zu erläutern, aber das interessierte irgentwie nicht mehr...


Beim Abendbrotzubereiten hatte ich bereits eine sehr lebendige Diskussion mit meiner Frau über die richtige Art Möhren vor zu bereiten: Sie schält sie, ich schabe sie. Ich meine, dass der Substanzverlust bein Schälen wesentlich grösser ist als beim Schaben, aber das schien meine Frau nicht besonders zu beeindrucken. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich mich um die Zucchini kümmere....


Eigentlich wollte ich von einer Patientin berichten die wir für magersüchtig halten, die aber von sich behauptet nicht magersüchtig zu sein. Sie hat natürlich recht. Sie berichtet von einer Stimme die ihr alles Mögliche auferlegt: sie darf nicht gehen, nicht sehen, nicht aufstehen , nicht essen... Wir haben die Patientin mit dem Verdacht eines Missbrauches von einer anderen Klinik in eine stationäre Therapie unter geschlossenen Bedingungen übernommen, nachdem sie bereits zwei andere Kliniken kennengelernt hatte. Wir behandeln sie seit 1,5 Jahren mit dem Ergebnis , dass wir vor der Entscheidung stehen, ein Pflegeheim für sie zu finden...

Sie hat den Wunsch geäussert, eine Auslandsmassnahme durch zu führen. Grundvoraussetzung dafür ist dass sie mit Messer und Gabel isst, was ihr nicht gelingt, weil sie sich beim Essen ständig schlägt.


Sie schafft es ihr Gewicht zu halten, aber das Familiensystem kollabiert zunehmend. Eine erneute stationäre Therapie will sie nicht, ganz davon abgesehen, dass sie keine kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik mehr aufnehmen würde, bis auf wir.


Aber dazu fällt uns zu wenig ein. Wir haben sie erfolglos antipsychotisch behandelt und bei der heutigen Familiensitzung kam mir die Idee sie mal sämtlichen Koryphäen vor zu stellen....


Ein Lichtblick: sie reagiert auf meine Befehle. Hört sich wenig therapeutisch an, aber sie begründet das nicht gelingen dessen was sie vorhat damit, dass ich es ihr nich ausdrücklich auferlegt habe. Ihr falle nichts ein was sie als nächstes tun könnte um weiter zu kommen.


Ich telefoniere täglich mit ihr, wobei sie sehr wortkarg reagiert, und mehr stotternd flüstert als spricht. Sie nutzt ihre Augen nicht weil sie ihre Umwelt vor ihren schrecklichen Augen schützen möchte....


Und trotzdem will ich mich mit dem Stillstand nicht abgeben. Lösungsorientiertes Arbeiten bringt nichts, weil sie sofort das Gegenteil tut von dem was wir gelobt haben. Beschimpfen nutzt nichts, weil sie sich dadurch bestätigt fühlt in ihrer Schlechtigkeit.


Sie war mal eine begnadigte Bratschenspielerin. Beide Eltern sind Musikdozenten. Die jüngere Schwester spielt Geige. Seit knapp 4 Jahren hat unsere Patientin sich nicht mehr um das Weiterkommen bemüht. Ein Missbrauch hat sich nicht bestätigen lassen.


Was tun?


Vielleicht kommt ein guter Gedanke aus dem Blog?


Oder finde ich mich damit ab, dass wir nicht alle retten können?


Ich hoffe, dass das Ganze das Tagebuch nicht überfrachtet, aber es beschäftigt mich nun mal.....


Bis morgen!

Filip Caby