Das fliehende Pferd

Ich war im Kino. Das fliehende Pferd. Eigentlich wollte ich mir den Film nicht ansehen, da ich mit Martin Walser nicht viel anfangen kann. Aber die Kritiken waren überwiegend gut, und das Kino nicht weit weg.


Ich habe mich ganz gut amüsiert, um das gleich vorweg zu sagen – aber das hat eigentlich keine Bedeutung, da mein Ansprüche in der Hinsicht nicht sehr hoch sind.


Irgendwie schien der Film in den 70er Jahren zu handeln. Zumindest schienen mir die dargestellten interpersonellen Probleme und Verwicklungen aus dieser Zeit zu stammen (die Autos auch), allerdings deuteten die Zeitangaben und die Währung darauf hin, dass alles in der Gegenwart spielt.


Es geht um zwei Männer, die eine gemeinsame Geschichte (Schulkameraden: „Sagt man das heute noch?“) verbindet oder auch trennt. Der eine ist unheimlich miesepetrig. Auch wenn Ulrich Noethen (der Darsteller) ganz anders aussieht, erinnert er sofort an Martin Walser. Er beschäftigt sich am liebsten mit Vögeln (ja, wirklich...), und verlässt zu diesem Zwecke bereits früh morgens das eheliche Bett, um sich mit seinen Ornithologenfreunden zu treffen. (Martin Walser ist Ehrenmitglied im Carl-Auer-Freundeskreis.)


Der andere ist das genaue Gegenteil (gespielt von Ulrich Tukur). Auch er beschäftigt sich gern mit Vögeln, allerdings wird das nur dezent angedeutet. Ein Bruder Leichtfuss, der Lebensfreude verbreitet (Herr Lütz hätte seine Freude an ihm), hier und heute lebt, nicht an morgen denkt, und trotzdem durchgehende („fliehende“) Pferde zügeln, ja, bändigen und sogar – hoch kompetent - reiten kann. Also gewissermaßen das Gegenteil von Martin Walser (außer wenn der Reden in der Paulskirche hält, wo ihm dann der Gaul eben auch durchgeht).


Frauen kommen auch vor, eine junge hübsche und eine ältere, treue, frustrierte Ehefrau. Welche zu wem gehört, kann jetzt sicher jeder raten.


Warum ich das alles hier erzähle?


Das Ganze spielt am Bodensee, wo der verbiesterte Lehrer (was sonst) seit 12 Jahren Ferien macht, während seine Frau eigentlich nach Patagonien möchte. Mich hat die Ferienwohnung, in der sie – offenbar seit 12 Jahren – ihre Ferien verbringen, in Bann gezogen. Ich habe auch schon einmal in solch einer Wohnung Ferien gemacht. Wer in solch eine Wohnung kommt, wird auf einen Schlag depressiv und verbittert, bekommt Asthma-Anfälle und kann, wenn von Vögeln die Rede ist, nur noch an Rohrdommeln denken.


Solche Wohnungen sollten vom Gesundheitsamt verboten werden. Wahrscheinlich werden sie von der Pharmaindustrie gesponsort. Ich kann sie aus psychohygienischen Selbstschutz-Gründen hier nicht näher beschreiben, die Erinnerung ist zu schrecklich und ich will die Wunde nicht wieder aufreissen. Aber solche Einrichtungen sind wahrscheinlich weiter verbreitet, als mir mein Vorstellungsvermögen zu befürchten erlaubt. Sie stellen den Super-Gau der Ästhetik dar. Sie verändern das Körpergefühl eines jeden, der sie betritt, innerhalb von Sekunden. Längere Aufenthalte sind nicht unbeschädigt zu überstehen.


Wahrscheinlich hätte es ja gereicht, diese Wohnung über längere Zeit zu zeigen, um die Aussage des Films kostengünstiger zu transportieren. Jeder stellt sich beim Anblick die Frage: „Wie will ich Leben? Kann es das wirklich gewesen sein?“