China-Paradox

In den letzten Tagen hatte ich wieder ausgiebig Gelegenheit, mich über China informieren zu lassen (von richtigen Chinesen). Was mich erneut beeindrickte, war, dass die Kommunikation mit den chinesischen Kellnern in meinem favorisierten China-Restaurant nicht so einfach war, wie man sich das gemeinhein vorstellt. Der Kellner sprach zwar neben perfektem Deutsch noch vier unterschiedliche chinesische Dialekte und Vietnamesisch, aber nicht die Dialekte meiner Gäste. (Das Bestellen hat trotzdem funktioniert.)


Eine andere Geschichte, die man als China-Paradox bezeichnen könnte:


Parallel zur Einführung von Marktstrukturen ist einst auch die Ein-Kind-Politik beschlossen worden. Auf diese Weise kam es zu zwei Kontext-Veränderungen, die weitreichende Folgen für die psychische Entwicklung der jungen Chinesen hatte und hat (was sich u.a. an steigenden Zahlen psychiatrischer Patienten zeigt).


In einem marktwirtschaflichen Umfeld muss jeder Einzelne sich als Individuum im Wettbewerb mit anderen behaupten: Jeder für sich und ... gegen alle.


Dieser radikalen und relativ neuen Individuationsforderung steht gegenüber, dass die Eltern und Grosseltern (das berühmte 4-2-1-Prinzip) all ihre Aufmekrsamkeit auf das eine verbliebene Kind richten. Die Bindungskräfte sind enorm, vor allem deshalb, weil trotz Änderung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die kulturellen Erwartungen an Kinder - Loyalität, Ehrung und ökonomischer Erhalt der Eltern - unverändert weiter gelten. Ihnen konnten die Kinder in früheren Zeiten viel eher gerecht werden, weil diese Verpflichtung sich auf etliche Kinder verteilte und jeder einzelne viel mehr in die Familie als ökonomische Überlebenseinheit integriert war (später dann in die kommunistischen Einheiten). Dieses Eingebettetsein und sich Verlassenkönnen auf die soziale Einheit ist jetzt nur noch für die Alten wirksam, was die Jungen unter einen ungeheuren Druck setzt.


Einerseits müssen sie sich als bindungslose Individuen "bewähren", andererseits ist es ihnen nicht erlaubt, sich als bindungslose Individuen zu verhalten...


Insofern haben es die Jungen im Westen einfacher, weil hier nicht die konfuzianischen Werte der Ahnen- und Altenverehrung bzw. -fürsorge nicht in dem Maße gelten...


Die Folge in China: Konfusianismus.