Burnout -ein Identitätsmerkmal?

Immer mehr Menschen in meinem Freundeskreis leiden an (beruflicher) Überlastung. Fast alle mir nahestehenden Menschen arbeiten in der Sozialen Arbeit oder sind psychotherapeutisch tätig. Eigentlich alle stöhnen über zuviel Arbeit bzw. immer mehr in immer kürzerer Zeit tun zu müssen; über unklare und schwierige Teamstrukturen, über gravierende Einschnitte, die sich etwa durch Hartz IV für KlientInnen ergeben und die durch SozialarbeiterInnen umgesetzt werden müssen.

Viele sind außerdem "hautnah" mit der Frage beschäftigt, was aus alten/pflegebedürftigen Verwandten wird und sie versuchen neben der professionellen Sozialarbeit, die sie täglich leisten, innerhalb der eigenen Herkunftsfamilie zu unterstützen, zu pflegen, zu organisieren.

Nicht wenige sind von Burnout bedroht und leiden unter permanentem Zeitmangel. Die "Sorge für sich", wie Barbara Gussone & Günther Schiepek sie in ihrem gleichnamigen Buch in Anlehnung an Foucault ausführen, kann derzeit selbst von denen, die sie doch eigenlich im Blick haben, kaum mehr gelebt werden.

In sozialen Institutionen, die ich supervidiere stellt sich mir ein ähnliches Bild dar.


Liegt dem Zeitmangel, über den alle klagen, schlechtes bzw. falsches Zeitmanagement der einzelnen Personen zu grunde? Ziehen manche vielleicht wirklich alle Aufgaben auf sich, fühlen sich grundsätzlich für alles und jeden verantwortlich?

Gehört das Jammern über die Verhältnisse und zuwenig Zeit vielleicht "ein Stück weit" zum Alltagsgeschäft der sozialen Arbeit? Burnout oder zumindest ständiges Klagen als konstituierendes (Identitäts-)merkmal Sozialer Arbeit?

Oder ist ein Aspekt der Überlastung vielleicht, dass die Arbeit wie in anderen Berufen auch, schlecht verteilt ist? Die beruflich "sozial" arbeiten, sind häufig auch in ihren (Herkunfts-)familien für "das Soziale", für die Beziehungsarbeit zuständig.


Manche meiner FreundInnen trösten sich damit, dass es sich halt mal wieder um eine besonders "schwierige Phase" handelt - durch die frau oder man "durchmüsse". Das besondere Projekt noch abschließen, die nächsten zwei Wochen noch überstehen...dann wird es besser. Eine meiner liebsten Freundinnen hat bereits während des gemeinsamen Studiums den Satz geprägt: "Es wird nie besser nur anders." Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass nicht selten im Leben vieler Menschen eine anstrengende Phase von der nächsten abgelöst wird...


Die obigen Zeilen habe ich heute morgen gegen 8 Uhr formuliert und wollte heute abend daran weiter denken und schreiben. Jetzt ist es ca. 19.30 Uhr und mein Arbeitstag ist zeitlich völlig anders verlaufen, als von mir geplant. Eine Kollegin, die erkrankt ist, mußte vertreten werden , eine Beratung zusätzlich, mit einer Klientin, die sich in der 12. Schwangerschaftswoche befindet...Gutes Zeitmanagement hin oder her...ja da hat mich mal wieder, die sogenannte Wirklichkeit, die es eigentlich nicht gibt eingeholt...Aber wenigstens das "für mich sorgen" will ich nicht aus dem Blick verlieren. Aus diesem Grund müssen alle schlauen Gedanken, die ich mir heute eigentlich noch machen wollte, auf andere Zeitpunkte verschoben werden. Ich bin hungrig, möchte den "Tatort" schauen, den Feierabend genießen und höchstens noch über die Frage nachdenken: "Wer war der Mörder?"