Brückenbau

Heute höre ich mir den Mitschnitt einer Podiumsdiskussion auf dem 5.Internationalen Kongress für Systemaufstellungen in Köln noch einmal auf CD (Steinhardt Verlag) an. Gunthard Weber, Fritz B. Simon und Gunther Schmidt referieren und diskutieren zum Thema "Arbeitet Hellinger systemisch?" Die Besetzung ist hochkarätig, geht es hier doch um Grundsatzfragen zum Verhältnis der systemisch-konstruktivistischen Therapien, der Aufstellungsarbeit und natürlich Bert Hellinger. Dieses Thema ist für mich hochinteressant, da ich gerne (von einigen guten LehrerInnen und nicht zuletzt auch vom Carl-Auer Verlag beeinflusst) mit dem "systemisch-weiten Blick" in die Landschaft schaue. Da ich diese Veranstaltung nicht selber miterleben konnte, greife ich also noch einmal zur CD und es geht mir wie beim ersten Mal, als ich sie hörte: Ich bin sehr beeindruckt!


Hier sitzen - moderiert von Franz Ruppert - drei Männer zusammen, die einander offensichtlich seit Jahrzehnten begleiten, die den Bau des systemischen Hauses in Deutschland maßgeblich beeinflusst haben, die dieses Haus auch weiterhin bewohnen - jeder in seiner eigenen Wohngemeinschaft - und die es, wie es mir als Außenstehende scheint, über die Jahre geschafft haben, respektvoll und freundschaftlich miteinander umgehende Nachbarn zu sein.


Alle drei stellen sich die Frage: Was ist eigentlich systemisch?

Für Fritz Simon ist keine Methode an sich systemisch, wohl aber die Orientierung an der Systemtheorie; Gunthard Weber betrachtet Aufstellungsarbeit als systemisch und sein Anliegen ist es, die Aufstellungsarbeit in die "klassische" systemische Therapie zu integrieren; Gunther Schmidts Antwort auf diese Frage lautet: systemisch ist die "multikulturelle Toleranz für verschiedene Realitäts-Konstruktionen". Diese Wort-Konstruktion klingt für meine Ohren zwar sehr kompliziert, aber dass diese drei wackeren Ritter der systemischen Tafelrunde genau das praktizieren, ist deutlich spürbar, am freundschaftlich-flapsigen Ton hörbar und für mich im besten Sinne systemisch.


In der Frage "Arbeitet Hellinger systemisch?" haben die die drei durchaus kontroverse Sichtweisen, und das ist wohl schon so seit dem Erscheinen des Buches "Zweierlei Glück" mit dem Untertitel "Die systemische Psychotherapie Bert Hellingers"- ein von Gunthard Weber herausgegebenes Buch, das erstmals für ein größeres Publikum den bisherigen Markennamen der Konstruktivisten "systemisch" benutzte. Ich habe es nicht miterlebt, aber ich kann mir vorstellen, dass es in dieser Frage viele Hochs und Tiefs zwischen den dreien (und nicht nur zwischen ihnen) gegeben hat, aber sie ließen sich offensichtlich nicht davon abbringen, das systemische Haus weiter gemeinsam zu gestalten und gleichzeitig mit ihren Wohngemeinschaftskollegen ihre Wohnungen individuell einzurichten...


Ich wünsche uns allen mehr Menschen, denen es gelingt, mit ihren unterschiedlichen Meinungen auf eine ähnliche Weise umzugehen wie diese drei. Und weil Gunthard Weber dieses Jahr 65 Jahre alt wird, für ihn zum Geburtstag: Ich wünsche uns allen mehr Menschen, die den Mut haben, kontrovers zu denken, denen es aber auch wie Dir gelingt, eine Brücke zwischen Ufern zu bauen, die zum selben Fluss gehören.