Blinder Fleck

Für Konstruktivisten ist die Theorie des „blinden Flecks“ von besonderer Bedeutung: Man sieht nicht, dass man nicht sieht...


Wer dieses Prinzip bisher noch nicht richtig verstanden hat, sollte einmal – wie ich gerade – in einer deutschen Großstadt mit dem Bus fahren. Während früher nur Kinder Schulranzen auf dem Rücken hatten, haben das heute auch eine Unzahl von Erwachsenen. Statt Akten- oder Einkaufstasche schleppen sie einen Rucksack („gut für die Haltung“). Das alles mag ja aus orthopädischer Sicht empfehlenswert sein, hat aber hohe soziale Kosten. Denn diese Rucksackträger, weltoffen wie sie nun einmal sind, scheinen einen unstillbaren Trieb zu haben, sich um die eigene Achse zu drehen, um aus dem Fenster zu schauen, Kontakt mit den Leuten neben sich zu pflegen usw. Wenn sie sich beispielsweise dem Nachbarn zur linken zuwenden, dann gerät der Nachbar schräg rechts hinter ihnen unweigerlich in Konkurrenz mit dem Raumbedarf des Rucksacks. Frauen und Kinder sind hier besonders gefährdet: Sie bekommen den Sack ins Gesicht, Schnallen in die Augen, kleine Außentäschchen an die Nase...


Doch irgendwie kann man die Träger dieser Rucksäcke nicht wirklich verurteilen. Sie sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, dass sie den öffentlichen Nahverkehr behindern. Sie verhalten sich, als sei der Sack ein integraler Teil ihres Körpers; offenbar hat er aber keinen Eingang in ihr Körperschema gefunden. Sie nehmen ihn nicht wahr, sehen und spüren nicht, was sie da wem antun.

Beschwert man sich, so dreht sich der Betreffende meist überrascht und erschrocken um (nicht ohne einem weiteren Fahrgast den Rucksack um die Ohren zu hauen – und das aufgrund der Schreckhaftigkeit der Drehung mit besonderer Kraft) usw.


Meist sind es sehr liebe Menschen, denen es fern lag, irgendwem irgendetwas Böses anzutun. Nie würden sie mehr Raum für sich fordern, als ihnen zusteht. Bevor es Rucksäcke gab, haben sie wahrscheinlich Leitern auf der Schulter getragen und sich um die eigene Achse gedreht (immer wieder - vor allem auf überfüllten Bürgersteigen).


Wer mehr zu derartigen Verhaltensstrategien und den Nebenwirkungen der unschuldigen eigenen Handlungen wissen will, sollte sich unbedingt den Film „Verschwörung im Berlin-Express“ ansehen. Ein absolutes Muß für jeden aufgeklärten Menschen...