Bitte recht anstrendend! - Muss ich bei Ihnen hüpfen?

Livia Haupter


Ein 70-jähriger Herr betrat an einem Donnerstagmorgen im Frühsommer letzten Jahres meine Praxis. Er trug eine um 15 cm zu kurze original Addidas-Jogginghose, die blaue mit den weißen Streifen und dem offenen Reißverschluss an der Seite! (Ich spekulierte, er hat sie speziell für unser Treffen reaktiviert.) Herr L. hatte bisher noch keinen Kontakt mit meiner Berufsgruppe und wirkte ratlos, als er mir die Verordnung seines Arztes über 6 mal Allgemeine Krankengymnastik überreichte. Auf die Frage, wie es käme, dass er einen Termin bei mir ausgemacht hätte, gab er an: „Mein Doktor hat mir dringend geraten, wegen meiner Hüfte etwas`` zu tun!“


Ein Ausschnitt aus dem Erstgespräch:

Ich: „Was denken Sie, was Sie hier tun müssen?“

Herr L.: „Ich muss hier hüpfen!“ - er machte dabei einen unbehaglichen Eindruck.

Er war sichtlich erleichtert als ich ihm erklärte, dass wir nach anderen Möglichkeiten suchen würden, mit denen er seine Beschwerden günstig beeinflussen könnte.

Herr L: „Mein Doktor hat gesagt, ich müsse jetzt dringend was tun, sonst drohe die Operation!“ (Hier war ein künstliches Hüftgelenk gemeint.)


Das Ergebnis der Anamnese und der klinischen Untersuchung ergab für mich keine direkte Operations-Indikation und ich beschloss deshalb, diese Aussage als Motivation zu nutzen. Der überweisende Arzt ist seit über 15 Jahren Hausarzt und Vertrauter von Herrn L.

Ich: „Was denken Sie, woran würde Ihr Arzt erkennen, dass Sie gezielt geübt und seinen Rat umgesetzt haben? Wie müssten Sie sich Ihrem Arzt präsentieren, dass dieser voll des Lobes ob Ihrer Übungskonsequenz wäre und von der möglichen Operation erst mal keine Rede mehr wäre?“

Herr L. grübelte einige Zeit, lächelte dann und meinte: „Ich müsste weniger über Schmerzen klagen und einen klaren Gesichtsausdruck haben. Naja, und etwas besser Geradestehen können.“

Ich erarbeite mit ihm ein Hausübungsprogramm mit den dazugehörigen Kontrollbewegungen (Erkennungsmarker für Erfolg, siehe Beitrag vom Dienstag).


In den folgenden Behandlungseinheiten erkannte ich, dass Herr L. sehr gewissenhaft übte und durch regelmäßiges Testen seiner Kontrollbewegungen die Dosierungen seines Hausübungsprogramms anpasste. (Als insulinpflichtiger Diabetiker fiel es ihm leicht, den Rückkopplungs-Regelmechanismus auch auf seine Bewegungsübungen zu übertragen.)

Besondere Freude zeigte er an der Vorbereitung seiner zweiminütigen Präsentation seiner neu bzw. wieder gewonnenen Bewegungsfähigkeit für den nächsten Arztbesuch.


Mitten im Sommerloch erhielt ich einen Anruf seines Hausarztes, der wissen wollte, was ich mir Herrn L. „angestellt“ hätte. Doktor V. erklärte, er habe seinen Patienten in den letzten Jahren schon lange nicht mehr so motiviert erlebt. Eine Operation halte er zum momentanen Zeitpunkt nicht mehr für angezeigt.