Bildung - von Freiräumen?

Kürzlich war ich als Teilnehmer auf einem Workshop – bei der Erwartungsabfrage wurde das Thema "mehr Lebensqualität" genannt.


Als einer der Kollegen, die dieses Thema nannten, sich mehr Freiräume für seine Lebensqualität wünschte, stieg spontan in mir hoch: Lebensqualität findet im Leben und nicht in Freiräumen statt.


Oder befinden wir uns in der überwiegenden Zeit unseres Daseins im Gefängnis und müssen uns einen Freiraum erarbeiten?


Genauso ergeht es mir mit dem Begriff Work-Life-Balance. Ist nicht die Atomisierung unserer Lebensbereiche in "Dienst ist Dienst" und "Schnaps ist Schnaps" das Grundübel?


Beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang die Rede unseres damaligen Oberstudiendirektors zu unserer Abitursfeier, die jetzt schon fast 30 Jahre zurückliegt. Ich war auf derselben Schule - oder heißt es dergleichen (?) - Schule wie unser heutiger Papst und einige meiner Lehrer waren seine Klassenkameraden gewesen.


Dieser Oberstudiendirektor, der uns als ersten altgriechischen Satz das "ho me dareis anthropos ou paideuetai" von Menander beibrachte und es nicht in der gnädigeren Übersetzung von Goethe, der es als Motto vor Dichtung und Wahrheit mit "Wer nicht geschunden ward, ward nicht erzogen" uns nahe brachte, sondern mit der fast brachialen Variante, die schon an Indianerfilme oder Schlimmeres erinnert, mit "Wem nicht bei lebendigem Leib, die Haut abgezogen wurde, der wurde nicht erzogen".


Eben dieser Leiter unseres Gymnasiums sagte uns in unserer Abitursfeier, dass wir uns diese 9 Jahre Lateinunterricht und 5 Jahre Altgriechisch und andere Quälereien angetan haben, um Bildung zu erlangen und wie definierte er Bildung?


Bildung wäre dazu da, mit der Muse umgehen zu können. Er, der oft unerbittlich war, wenn er unsere Leistungen forderte, brachte sie in dieser Rede nicht in den Zusammenhang mit unserem heutigen profitorientierten Leistungsverständnis, aber auch nicht in den Kontext von Wellness, wie wir das heute gerne tun.


Er gebrauchte das Wort Muse und das hat nichts mit unserem "Freizeit- oder Freiraumverständnis" zu tun, sondern viel mit Anstrengung und um die eigene Kreativität Kämpfen.