Beschimpfung

####Rechtschreibreform: Einleitung####


Ich kann nicht anders, jetzt, gegen Ende dieser Woche, muß ich auch endlich einmal beschimpfen!


Der Anlaß mag vielen nichtig sein. Er sollte es nicht! Und mir ist er es nicht!


Es geht um die Rechtschreibreform bzw. um das Rechtschreibreformgewürge.


Ich bin gegen die Rechtschreibreform. Ich möchte nicht mißverstanden werden: Ich bin gegen *diese* Rechtschreibreform, keineswegs gegen jede oder gar eine sinnvolle.


Daß ich nicht zu denen gehöre, die aus Deutschtümelei gegen die Reform sind, dürfte eigentlich aus meinen sonstigen Texten in dieser Woche klargeworden sein. Falls nicht, so sei es ausdrücklich gesagt: Von den deutschtümelnden Reformgegnern distanziere ich mich so meilenweit als möglich.


Daß ich kein Gegner einer sinnvollen Reform bin, möge folgendes belegen: In den siebziger Jahren habe ich im Kuratorium (= Aufsichtsrat) des Instituts für deutsche Sprache (Mannheim) den Antrag eingebracht und ihn auch, wenn ich mich recht erinnere: *einstimmig* durchgebracht, daß künftig alle Publikationen des IdS in (gemäßigter) Kleinschreibung herausgegeben werden sollen. Leider hielt der Beschluß nicht lange; die Zeiten schlugen auch rasch um. (Ich bin heute übrigens eher gegen die gemäßigte Kleinschreibung – also die Großschreibung nur von Satzanfängen und Eigennamen –, doch nicht dogmatisch; aber: anderes Thema.)


Ich will mich nicht groß auslassen über die Reform. Nur ein winziges Beispiel: Schrieb man nach der alten Rechtschreibung „weh tun“ und „guttun“, so schreibt man nach der neuen Rechtschreibung „wehtun“ und „gut tun“. Nach diesem Muster ist die ganze Chose.


Jetzt steht die Reform der Reform an (tritt am 1. August 2006 in Kraft). Mit dem Effekt: Man schreibt weiterhin „wehtun“, aber dann doch wieder „guttun“. Da, wo die Reform wenigstens, wenn auch mehr oder weniger hilflos, eine Regel zu formulieren bemüht war (so im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung), die man dann so oder so, aber immerhin: interpretieren konnte und die wenigstens einen viertelhalbwegs klaren Kernbereich hatte, da herrscht mit der Reform der Reform nun nicht mehr nur die blanke, sondern die allerblankeste Willkür.


Noch ein Wort zum Märchen vom „ss“: Wer vorher nicht wußte, wo man ein „ß“ setzt, der weiß auch jetzt nicht, wo man ein „ss“ setzt, da hat sich überhaupt nichts geändert, also auch nichts gebessert. Im Gegenteil: Untersuchungen in Schulen zeigen – und ich sehe das auch in den Manuskripten –, daß im Bereich „s“, „ss“ und „ß“ die Zahl der Fehler zugenommen hat; was auch nicht verwunderlich ist: Der Bereich, in dem Fehler möglich sind, hat sich durch die Abschaffung des „ß“ z.B. bei der Konjunktion „daß“ vergrößert; oft wird jetzt das Relativpronomen „das“ als „dass“ geschrieben – ein Fehler, der früher, bei der „daß“-Schreibung, so gut wie niemals vorkam.


Die alte Rechtschreibung war, man muß es klar sagen, eine Katastrophe (mit dem einzigen Vorteil, daß man sich daran gewöhnt hatte). Die neue aber ist eine noch größere Katastrophe, in ihrem Katastrophischsein nur noch übertroffen durch die allerneueste im kommenden August.


Auch die redlichen Befürworter der Rechtschreibreform (ich meine nicht die amtsbestallten Befürworter, die es ohnehin besser wissen, als sie in der Öffentlichkeit tun: die Akteure der Reform; oder die von Rechtschreibung sowieso keine Ahnung haben: die Kultusminister und ihre Adlaten) – auch die redlichen Befürworter der Rechtschreibreform, sage ich, können wohl mit vielem nicht einverstanden sein, was uns da aufgetischt, um nicht zu sagen: vor den Latz geknallt wurde. (Und vor allem nicht damit, *wie* es uns vorgesetzt wurde, siehe unten.)


Ich will mich nicht in Einzelheiten verhakeln. Mir geht es – klar! – um etwas Prinzipielles:


1.) Auch Wohlwollende müssen wohl zugeben, daß die Rechtschreibreform alles in allem bei weitem nicht genügend durchdacht ist und außerdem viel zu kurz greift.


2.) Auch Wohlwollende müssen wohl zugeben, daß die Rechtschreibreform nur ein punktuelles Herumlaborieren ist, ein Stückwerk ohne Linie und Gesamtentwurf, ohne rechten Sinn und Verstand.


3.) Auch Wohlwollende müssen wohl zugeben, daß die Rechtschreibreform die Rechtschreibung zumindest nicht erleichtert (ich sage: Sie erschwert sie), daß also die Rechtschreibreform ihren alleinigen und Hauptzweck, nämlich die Erleichterung des Schreibens vor allem für die Schreibanfänger und -anfängerinnen und insgesamt für die Schüler und Schülerinnen verfehlt hat.


Nun würde ich nicht soviel Aufhebens um die Rechtschreibreform machen, die die meisten Leute sowieso – und mit einem gewissen Recht – so gut wie überhaupt nicht interessiert. Aber immerhin handelt es sich um einen schon gravierenden Eingriff in die Sprache, zumal die Reform teilweise auch auf der Bedeutungsebene eingreift. Klar, Sprache ist nicht gleich nur Rechtschreibung, bei weitem nicht. Aber die Rechtschreibung ist doch ein nicht unwesentlicher ihrer Bestandteile. Darum meine ich:


4.) Die Rechtschreibreform ist nicht nur eine Bankrotterklärung ihrer Macher und ihrer Durchsetzer, sondern sie ist – schlimmer – für uns alle eine einzige intellektuelle Beleidigung und Zumutung, um nicht schlimmere Wörter zu gebrauchen. Ich persönlich kann jedenfalls sagen, daß ich mich, da ich mich *tagtäglich* mit diesem Unsinn herumschlagen muß, beleidigt und in meiner Redlichkeit als Person (die, wenn sie mir noch nicht zu eigen wäre, ich doch anstrebe) in Frage gestellt fühle. (Zumal, es gibt ja jetzt nicht mehr *die* Rechtschreibung, das immerhin ist, ungewollt, erreicht; jeder Verlag, ja jede Firma hat jetzt ihre eigene Rechtschreibung, und was das für meinen Schreibtisch heißt, kann man sich vielleicht lebhaft vorstellen; der Duden hat ja auch extra einen Band herausgegeben für eine eigene Rechtschreibung für Firmen, worin wenigstens mit der multiplen Hirnrissigkeit der Schreibvarianten aufgeräumt wird; im übrigen hat der Duden längst auch eine eigene Hausorthographie, die für Publikationen von Duden und Brockhaus gilt und unentwegt modifiziert wird ...)


5.) Es ist die Frage, ob ein solch erheblicher Eingriff in die Sprache und den *Sprachgebrauch*, wie ihn die Rechtschreibreform darstellt, überhaupt von einem *Parlament* beschlossen werden dürfte. Daß er aber an sämtlichen parlamentarischen Instanzen so mir, dir nichts vorbeigeschleust wurde und werden konnte, ist in einer Demokratie ein eklatantes Skandalon, ein nicht hinnehmbarer Vorgang. (Ehrlich gesagt, diese Reform wäre um keinen Deut besser, wenn sie von den Länderparlamenten und/oder vom Bundestag verabschiedet worden wäre; aber mir wäre wesentlich wohler dabei oder, sagen wir mal, wesentlich weniger unwohl.)


####Rechtschreibreform: Beschimpfung####


Nun zur Beschimpfung.


Ich *beschimpfe* alle, die nicht redlichen Herzens und Verstandes die Rechtschreibreform befürworten (das sind die wenigsten) und sich trotzdem nicht dagegen gewehrt haben (das sind die meisten),


ich *beschimpfe* also die übergroße Mehrheit der deutschsprachig Schreibenden, der Intellektuellen, der Parlamentarier, der deutschsprachigen Verlage, der Verleger, der Lektoren, Redakteure, Journalisten, Lehrer und aller, die sonst beruflich mit Sprache zu tun haben,


und *bezichtige* sie der sprachlichen und demokratischen und intellektuellen Ignoranz, bezichtige sie des bequemen Mitläufertums und des vorauseilenden Gehorsams, bezichtige sie der unrühmlichen Denkfaulheit und des unverzeihlichen Nichttuns,


und ich *bezichtige* sie *vor allem und das ganz besonders* auch als mitverantwortlich dafür und mitschuldig daran, daß wir jetzt *mindestens auf Jahrzehnte hinaus* keine gescheite, keine sinnvolle, keine im Sinne der Kinder und der Schülerinnen und Schüler schreiberleichternde, also daß wir insgesamt keine dringend erforderliche wirkliche Rechtschreibreform kriegen werden.