Bedürfnisse des Volkes

In der öffentlichen Diskussion wird immer mal wieder auf die "Bedürfnisse des Volkes" Bezug genommen, die es "intuitiv" zu erfassen gäbe.


Ich persönlich halte solch eine Argumentation für eine Beleidigung der Intelligenz, für entweder albern oder unanständig. Denn "das Volk" gibt es nicht, es handelt sich um eine Abstraktion, und Abstraktionen haben keine Bedürfnisse, man kann sie nicht küssen, nicht befriedigen, nicht frustrieren, und auch nicht intuitiv erfassen usw.


Selbst wenn man sich mit dem Wort Volk auf irgendein Kollektiv beziehen wollte, so wäre es ziemlich sinnfrei, weil solch ein Kollektiv mit einheitlichen Bedürfnissen etc. nicht existiert. Im besten Fall kann man solch einen Kollektivwillen in der Abgrenzung gegen Außenfeinde vorübergehend erzeugen (siehe meinen Beitrag von vorgestern). Aber wenn es um die Konkretisierung der vermeintlichen Bedürfnissen "des Volkes" geht, dann zeigt sich, dass "das Volk" eine Leerformel ist, die sich bestenfalls zu propagandistischen Zwecken nutzen lässt. Denn falls "das Volk" sich auf "die Menschen" beziehen sollte, die z.B. als "teutsch" bezeichnet werden, so zerbröseln diese vermeintliche Einheit und ihre vermeintlichen Bedürfnisse in eine riesige Zahl von Einzelbedüfnissen: Ich bin z. B. ziemlich sicher, dass sich meine Bedürfnisse von denen der meisten AfD-Wähler radikal unterscheiden. Gehöre ich also nicht zum Volk? Und wer entscheidet über die Zugehörigkeit?


Alles in allem: Wer sich auf das Volk beruft, hat m.E. entweder unlautere Absichten oder ist von einer kaum glaublichen Arroganz oder Dummheit (wobei die letzere Interpretation die schmeichelhaftere ist). Wenn er oder sie dann auch noch mit Intuition, also einer Wahrnehmung, die nicht der Objektivierung zugänglich und deswegen nicht falsifizierbar ist, argumentiert, dann hat er/sie sich als Demokrat/in aus meiner Sicht vollkommen disqualifiziert.