Ballast abwerfen

Vor ein paar Tagen schon wollte ich diesen Beitrag schreiben. Vorerst musste ich mal meinen Schreibtisch aufräumen, während ich dies begann, tauchte ein Buch auf, das ich unbedingt für mein nächstes Seminar noch lesen wollte ... also kurz 'reingelesen.... plötzlich war es 16 Uhr. Kinder von der Schule holen! Zu Hause zurück .. kurz noch Nachtmahl für die Kinder, Schultasche kontrollieren, mit dem Gatten Termine checken ... ach ja, die Erlagscheine muss ich morgen mitnehmen und die Wäsche aus der Reinigung .... und dabei heißt es "Zeit ist ein gerecht verteiltes Gut. Jeder Mensch verfügt über 1.440 Minuten pro Tag." - Also ich glaube, mir zapft da jemand 'was ab... Also wissen Sie, ich habe überhaupt keine Zeit für Zeitmanagement. Jetzt habe ich in einem Buch eines Zeitmanagement-„Gurus“ einen sehr brauchbaren Test gefunden, der bestätigt nämlich, dass wir Menschen verschieden sind. Und das eben auch, was unser Zeitmanagement betrifft. Er stellt fest, dass es "dominante", "initiative", "stetige" und "gewissenhafte" Zeitmanagementtypen gibt. Na ja, was soll ich Ihnen sagen, bei mir ist leider 'rausgekommen, dass ich ein sehr ausgewogenes Profil habe (von allem etwas). Das bringt mich nun auch nicht weiter. Jedenfalls stand bei mir, "weniger ist mehr" als Rezept. Für alle, die so ähnlich veranlagt sind, wie ich ein Tipp: Versuchen Sie es gar nicht erst mit komplizierten Timemanagement-Systemen. Durchforsten Sie Ihren Schreib- oder Wohnzimmertisch nach folgenden Kategorien: 1.) Das habe ich schon so lange aufgehoben, dass ich nicht mehr weiß, warum. - Also: wegschmeißen! 2.) Da gibt es einen Termin, der noch nicht verfallen ist. Also: erledigen! Hier finde ich etwas, das eigentlich auch jemand anderer tun könnte. Also: delegieren! Da gibt es Informationen, die ich tatsächlich (oder vermeintlich) noch einmal brauchen werde. Also: aufheben! (Achtung: nicht alles in diese Kategorie sortieren). Ich danke Ralf Senftleben für diese Sichtweise von Timemanagement. Ich denke, dieses System regelmäßig absolviert, kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen. Na gut, mal im Ernst. Natürlich macht es Sinn, sich Systeme anzusehen um mit der enormen Informationsflut klarzukommen, die nun einmal unser Leben stark beeinflusst. Ich habe gelesen, dass unser Gehirn 1 Million Informationen pro Sekunde als Reiz empfängt und sich entscheiden muss, was es weiterleitet. Allein dieser Gedanke erschöpft mich schon. Ich habe nun in meinem (und damit zwangsweise im Leben meiner Familie) mit einem Aufräumen – ganz im Sinne Fritz B. Simons – begonnen. Seit einem Jahr „schaufle“ ich Abhängigkeiten weg, stelle Rituale und Verhaltensmuster, Wohn- und Arbeitsformen in Frage, kremple meine Art der Berufsausübung um, was mir alles einfällt, wird unter diesem Aspekt betrachtet.


Wie mache ich das: Wenn der Kopf schwirrt, all die Termine, Daten, Informationen und Verantwortung sich ganz schön anhängen und Zeitmanagement auch nach dem dritten Neustrukturierungsversuch nicht funktioniert – selbst nach den obigen Anregungen nicht? Dann ist es doch einen Versuch wert, zunächst einmal Ballast abzuwerfen. Mit Ballast ist all das gemeint, was im Leben eigentlich zuviel ist und trotzdem seine guten Seiten hat. Deshalb wird er ja angesammelt und - mehr oder weniger - halbherzig beibehalten. Und: Ballast ist auch all das, was das Leben schwer macht, was zwar eine bewusste Belastung darstellt und dennoch irgendwie nützlich und unabwendbar erscheint - deshalb ist es so schwer, ihn wieder loszuwerden.

Lieblings-Ballast haben wir alle. Sie rauben uns Energie, Geld und Platz. Durch komplexe Strukturen, machen sie sich in verschiedensten Lebensbereichen breit und können sich gleichzeitig aus einer Vielzahl von bedeutenden und unbedeutenden Einzelheiten zusammenballen, entstehen regelmäßig Energiestaus in unserem Inneren. Also, da kenne ich z.B.

- die allgegenwärtige Informationsflut und die Überstimulation durch eine Ürfülle von Reizen, die auf meine Sinne einwirken.

- Der ständige Zeit- und Termindruck und der daraus entstehende Zeitmangel, durch den wiederum andere wichtige Aufgaben zu kurz kommen.

- Die Konfusion, die aus den obengenannten (und anderen) Gründen in mir herrscht und die daraus resultierende Grenzverwischung, die zur Verunsicherung über die eigene Position und die eigene Befindlichkeit führen.


Also, bevor ich nun unter diesem Bewusstsein meine depressiven Verstimmungen pflege, stelle ich mir lieber die folgende Frage: Muss ich mich tatsächlich mit allem auseinandersetzen, was mir an mehr oder weniger gehaltvollen Informationen in immer kürzeren Abständen angeboten wird? Wie viele Informationen erhalte ich eigentlich tagein tagaus, die rein zum Bedienen des zentralen menschlichen Bedürfnisses nach Mitteilung und Austausch dienen? Und nun die Gratwanderung schlechthin: Sobald ich wirklich hinhöre, was man mir sagt, steigt möglicherweise meine Furcht: "Es könnte sich um etwas Relevantes, Wichtiges oder sogar Lebensnotwendiges handeln." Für jene LeserInnen unter Ihnen, die sich hier betroffen fühlen, gleich mal eine spannende Übung: Heben Sie das nächste Mal, wenn Ihr Telefon läutet nicht ab. Auch Anrufbeantworter oder sonstige gute Geister sind verboten. ... Na, wie steht's um Sie? Also für mich ist das immer eine arge Herausforderung. Selbstversteandlich glaube ich , dass es in meinem Job und für meine Kinder extrem wichtig ist, dass ich erreichbar bin. Das ist ja auch eine Bestätigung der Kompetenz, des Kundenservice, der modernen MitarbeiterInnen-Führung... Alles klar. Aber machen Sie doch mal, wie ich dieses geistige Experiment: Überlegen Sie einen ganz normalen Tag durch. Wie viele Informationen haben Sie bekommen, mit denen Sie entweder gar nichts anfangen konnten oder die Sie nicht benötigten oder die Sie nicht interessierten, oder deren Qualitätsgehalt Sie anzweifelten??? Ich war sehr erstaunt, als ich diese Beobachtung tatsächlich mal einen Tag lang durchhielt. Wahrscheinlich hat mein Gehirn ganz recht, wenn es das Meiste gar nicht weitergibt.


Auch wenn Sie Zeitung lesen oder die Nachrichten ansehen: Die meisten Meldungen sind gekürzt, unvollständig dargestellt oder unterliegen einer bestimmten perspektivischen Färbung. Wie groß ist der Informationsgehalt da noch? Viel mehr als solides Halbwissen kann sich der/die durchschnittliche NachrichtenkonsumentIn kaum aneignen, und für den Aufbau eines echten Fachwissens auf mehr als einem Gebiet bräuchte ich ohnehin mehr als nur ein einziges Leben! Selbstverständlich wissen Sie das ebenso gut, wie ich. Aber das Spannende ist, es sich vor Augen zu halten. Ich bewundere dabei immer meinen Mann. Unfassbar, wie entspannt er an die Informationsselektion herangeht. Bevor er auch nur eine Braue hochzieht, sitze ich schon auf der sprichwörtlichen Palme, vor Stress, ja nichts zu übersehen, zu verabsäumen etc.


Das Wichtigste ist mir, dass Sie darauf achten, Ihr Leben immer wieder in die Balance zwischen Arbeit/Leistung - Sinn/Kultur - Körper/Gesundheit - und Kontakte/Familie zurückzubringen. Passen Sie auf sich auf!