Auf dem Zollamt

Gestern musste ich zum Zoll. Ein Päckchen aus den USA. Das Amt ist weit weg. Klar, man kann nicht an jeder Ecke solch ein Amt einrichten, und wer Pakete aus dem zollpflichtigen Ausland bekommt, ist schließlich selber schuld.


Ich bin also etwa 1 Std. da hin gelaufen (ein bisschen Bewegung ist ja immer gut).


Als ich das Amt betrat, eröffnete sich mir ein Bild des Grauens. Ein Wartesaal, ca. 30 Stühle, bis auf drei, vier alle besetzt.


Einige Menschen standen in einer Schlange an einem Schalter, an dem das Schild „Anmeldung“ stand. Ein Leuchtkasten, in dem Zahlen aufleuchteten: „Nummern“ (163, 164) und „Schalter“ (5, 6,...). Außerdem stand da die entmutigende Nachricht, dass man damit rechnen müsse, nicht in der Reihenfolge der Zahlen aufgerufen zu werden (offenbar um erwartbaren Beschwerden vorzubeugen).


Als ich endlich an der Reihe war, musste ich dem Beamten am Schalter den Zettel, den ich im Briefkasten gefunden hatte, geben, er schrieb auf, was ich in dem Päckchen vermutete (Bücher), klemmte eine Nummer (184), die er aus einem Automaten mit der Aufschrift „Wartenummern“ gezogen hatte, dran und legte alles in eine Fensternische hinter sich, die durch eine Holzklappe geschlossen wurde, die sich ab und zu öffnete und durch die sich eine Hand nach den Zetteln streckte, sie grapschte und ganz schnell wieder verschwand. Ein zweiter "Bon" mit der 184 drauf wurde mir in die Hand gedrückt.


Ich setzte mich auf einen der freien Stühle. Die erste Viertel Stunde war um.


Ab jetzt verfolgte ich ebannt das Zahlenspiel auf dem Leuchtkasten. Es gab insgesamt sechs Zeilen, d.h. sechs Schalter, zu denen man gerufen werden konnte. Neben dem Kasten klebte ein Zettel: „Schalter 6, Kasse“. Die Nummern, die für die Kasse aufgerufen wurden, waren niedriger als die für die anderen Schalter, was mich zu der überaus erschreckenden Folgerung führte, dass ich zweimal warten würde: für den Schalter und für die Kasse. Immerhin: Ich konnte sitzen.


Die Zahlen leuchteten einigermaßen in der erwartbaren Reihenfolge auf. Allerdings gab es Ausreißer: 191, 072. Was war mit 072? Ein Druckfehler? Die Zahl blieb. Nach einiger Zeit stand eine Chinesin auf, die offenbar schon Stunden dort wartete. Wahrscheinlich hatte sie sich ja Rauschgift schicken lassen. Oder Markenimitate aus der Heimat.


Schräg vor mir saß Nummer 175. Als er aufgerufen wurde, kam er ganz schnell wieder zurück. Mit einem Paket. Er musste keinen Zoll zahlen und durfte sofort diesen Vorhof zur Hölle verlassen.


Die 175 leuchtete weiter, in den andern Zeilen stand „--- ---“. Da der Herr mit der 175 bereits das Gebäude verlassen hatte, arbeitete jetzt offensichtlich kein Schalter(beamter) mehr. Pause? Alle gemeinsam? Dienstbesprechung? Eine Viertel Stunde. Nur die Kasse arbeitete weiter. Es roch nach Maggi-Suppe. Jetzt entdeckte ich einen Automaten, aus dem man Suppe ziehen konnte. Mir wurde schlecht.


Die Chinesin kam ohne Kiste wieder aus der Schalterhalle, die vom Warteraum nicht einsehbar war. Sie wirkte deprimiert. Chinesen lächeln doch nicht immer ...


Ich breche hier einfach mit meiner Schilderung ab, weil die Welt ja nicht wirklich an meinem ganzen Elend teilnehmen muss. Ich wartete knapp anderthalb Stunden, aufgeteilt in zwei Abschnitte – einmal für das Paket, das andere Mal für die Kasse. Der Schalterbeamter war extrem defensiv, obwohl ich gar nicht die Absicht hatte, ihn zu beschimpfen (ich sagte ihm das). Ich musste die Verpackung selbst öffnen („Wir dürfen das nicht“). Er erklärte, etwas besser gestimmt, dass auf Bücher 7% Zoll zu zahlen ist. Ich zahlte (nach weiteren zwanzig Minuten des Wartens, bis ich zur Kasse gerufen wurde) 8 Euro und 16 Cent Zoll auf vier Bücher von Jon Elster. Der Schalterbeamte begrüßte mich wie einen alten Freund und wünschte mir noch alles Gute, als ich mein Paket bei ihm aholte. Die chinesische 072 wartete immer noch drauf, dass ihr Import die Hürden der Behörden überwinden würden. Deutschland ist ein Export-Land und offensichtich kein Import-Land.


Ich weiß jetzt jedenfalls, dass man sich nie in Wartesäle setzen sollte, in denen Automaten für Suppen stehen.