Ästhetik der Geschlechter

Ich denke ich schließe gleich an mit Gedanken, die durchaus umsetzbar sind. Eine Ästhetik der Geschlechterbeziehung ist notwendig und im Kommen. Was Homosexuelle an Selbstdarstellung nach außen hin erreicht haben wird auch für heterosexuelle Frauen und Männer möglich sein, um das Ensemble ihrer sexuellen Wahl entsprechend nachhaltig ästhetisch zu gestalten.


Dass Familie, als Wiege und Garant von Individualität, schon demnächst Zukunft hat, wie Fritz Simon kürzlich prognostizierte und argumentiert, klingt sehr plausibel und erfreulich.


Familie bleibt aber weiterhin ohne Perspektive, wenn Widerstand und das Parolibieten einziger Grund bleiben sollten, eine Familie zu gründen. Dann bleibt Familie eine Art Lebensabschnitts-Unterschlupf für gerade Bedürftige, Singles oder mehrfach Gescheiterte. Der individuelle Widerstand gegen die Verquantung durch Wirtschaft und Konsum allein hält noch keinen Familienverband aufrecht, geschweige erschafft er die notwendigen Freiräume für eine Familienästhetik. Dafür kann es keine mediale Rezeptur geben, das muss jeder selbst erfinden.


Wenn eine solche Ästhetik der Geschlechter, je einzeln und dann gemeinsam, nicht auch philosophisch untermauert und diskursiv entwickelt, rituell und/oder sakramentell abgesichert, und, vor allem, individuell stets von Neuem kreativ initiiert und weitergeführt werden, dann bleibt Familie wie bisher eine entweder mit dem Mief der Biederkeit oder der Anmutung der Selbstaufgabe, dem Stigma der Zerbrechlichkeit durchsetzte vernachlässigbare Größe, die man schnell mal aufsucht solange man noch naiv genug ist oder erst dann wieder, wenn man bereits wieder bedürftig ist.


Es mangelt aus meiner Sicht an der mühe- und zeitaufwendigen, selbst kreierten, selbst erarbeiteten Ästhetik in der je eigenen Liebes-Beziehung. Aber natürlich erst Recht an ihrer gesellschaftlichen Anerkennung, als eine ästhetische Kategorie.


Als Anregung hierfür mangelt es an modernen Weisheitslehren, philosophischen Traktaten, widerstreitenden ästhetischen Manifesten, welche es erlauben die, uns heute bieder und nüchtern erscheinenden Begriffe Familie und Partnerschaft, an Ästhetik schlechthin zu binden, wie die Romantik dies mit der bürgerlichen Ehe tat, und Kultur noch nicht ausschließlich mit Konsum konnotiert war.


Besagte Ästhetik entspringt nicht der Oberflächlichkeit der Formen schneller marktorientierter Selbstdarstellung, sondern sie erwächst aus einer inneren Bewegung und Besinnung und der Festigung durch deren Sichtbarwerden.


Familie in der Industrie- Elektronik- Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft ist Stress, Mühe, Plage, Gewöhnlichkeit und Alltag schlechthin. Es erfordert tatsächlich Kreativität, um aus dieser Mühle den Ausgang zu finden.

Familie ist, quasi per Staatsauftrag, ein wissenschaftlich zu untersuchender Fall und unendlicher Gegenstand von Statistik und Vorhersagepraxen. Das ist ernüchternd, aber beides haben die sich an die Realität adaptierenden Familie schon ordentlich durcheinander gebracht.


Familie wird, qua Stallgeruch und Familiemief, als geselliger Herden-Betrieb gesehen oder zur dreiköpfigen Harmonie-Klause oder marodierendem Unternehmen heruntergemacht, wenn sie nicht gerade zum vier- bis siebenköpfigen modernen Managementbetrieb hinaufstilisiert wird, mit Multitasking der managenden Mutter, Schedules und Terminen für die Kinder, was auch nicht gerade viel visionärer ist.


Dagegen sind Träume zu setzen. Die müssen jedoch, beidseits und gemeinsam, formuliert werden!


Es mangelt an geistigen und materiellen Freiräumen, die inspirierende, das heißt besondere, individuelle u n d allgemeine, ritualisierte Formen beeindruckender Wahrnehmbarkeit und frischer, wagemutiger Selbstverpflichtung erlauben. Diese Freiräume müssen wahrgenommen und wahr gemacht werden. Von Jung und Alt!


Es mangelt an Freiräumen, die eine Ästhetik anreizen, die es Paaren ermöglicht, geistig und physisch ganz individuell, auf der Welle der glücklichen Inspiration zu fahren. Tatsächlich erfüllende Sexualität, Freude, üppige Geselligkeit, beschütztes Zusammensein und Erwachsenwerden, Konflikt und Auseinandersetzung zu leben, das Anderssein des Anderen zu erfahren, dabei Konflikte aushalten, die leidenschaftliche Liebe vor die Vater- und Mutterschaft setzen und letztere daraus speisen und ein Versprechen durchhalten und nicht bei der kleinsten Schwierigkeit in den Niederungen des Alltags, darin unterzugehen. Beziehungsweise sich umgehend (feindlich) zu trennen zu suchen, wenn einer angeblich spinnt, durchdreht oder gar Höhenflüge macht. Diese Freiräume müssen erdacht und kreativ eingefordert werden – das wäre ästhetisches Engagement.


Wie kommt man zu einer zunächst internen ganz persönlichen Ästhetik? Man muss sie sich bildlich vorstellen, sie sich sorgfältig formulieren und symbolhaft bezeichnen, damit sie augenblicklich abrufbar ist, sie niederschreiben, umformulieren, erweitern, darüber sprechen, davon erzählen, den Gedanken verbreiten...


Auf guten Geschmack wird man dabei nicht verzichten, aber möglicherweise auf rein repräsentatives Styling oder umgekehrt auf den Stall mit der Wohnlandschaft, Zeitschriften, TV im Bett, PC und Bröseln usw. usf., sie aufräumen, wegräumen oder ausräumen. Leerraum schaffen.


Oder aber gleich umziehen in einen Saal, zwei schlichte Stühle darin aufstellen - in genügend großem Abstand - und sich zuerst einmal nur anschauen, bevor man weitermacht....wenn man die Stimme erhebt, dann visionär, sachlich, klar und deutlich.


Man wird der schlichten Lebens-Kultur nur das an einfachen Gegenständen und Tätigkeiten hinzufügen, das an Abstand und Nähe einfordern und einhalten, was ihre Ästhetik unterstützt und sie nicht unter sich begräbt.

Klingt wie Utopie? Viele Utopien wurden durch den Glauben an ihre Verwirklichung realisiert. Andere Gott sei Dank nicht. Träumen wir von einer Ästhetik der Beziehung von Mann und Frau und erfinden wir sie, ohne dass dabei Konsum an erster und zweiter Stelle steht.